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Anwendbarkeit von Art. 449 ZGB im KS

Veröffentlicht:
13.09.2018
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Kindes- und Erwachsenenschutz

Grüezi Frau Dr. Anderer
Inwieweit ist Art. 449 ZGB für die medizinische Begutachtung eines Kindes anwendbar? Es geht vorliegend um ein Kind von 6 Jahren, wo dringend der Entwicklungsstand abgeklärt werden müsste. Da das Kind - obwohl schulpflichtig - den Kiga noch immer nicht besucht, ist eine Abklärung über die Schule nicht möglich. Die Eltern sind nicht kooperativ und verweigern jegliche Zusammenarbeit. Es besteht eine Beistandschaft nach Art. 308 Abs. 1 und 2 ZGB mit dem Auftrag:
a) die Eltern in ihrer Sorge um das Kind mit Rat und Tat zu unterstützen,
b) die weitere Pflege, Entwicklung und Erziehung von X zu überwachen, und den besonderen Befugnissen,
c) bei Notwendigkeit eine sozialpädagogische Familienbegleitung einzurichten und zu überwachen,
d) bei Notwendigkeit für eine ausserhäusliche Betreuung besorgt zu sein,
e) für eine kindgerechte Umgebung/Wohnform besorgt zu sein,
f) die Eltern für die Bedürfnisse ihres Kindes zu sensibilisieren sowie eine kindgerechte Tagesstruktur zu erarbeiten,
g) für die Finanzierung des Lebensunterhaltes von Lukas besorgt zu sein.
Was raten Sie uns von der Vorgehensweise?
Besten Dank und freundliche Grüsse, N. Giger

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Sehr geehrte Frau Giger
Art. 314 Abs. 1 ZGB verweist für das Kindesschutzverfahren auf die Bestimmungen über das Verfahren vor der Erwachsenenschutzbehörde, die Art. 446 bis 449 ZGB sind sinngemäss anwendbar. Im Kindesschutzverfahren kann Art. 449 ZGB somit zur Anwendung gelangen.
Ob die Voraussetzungen für eine Begutachtung in einer Einrichtung hier vorliegen oder welches Vorgehen zu wählen wäre, kann ich ohne vertiefte Fallkenntnisse nicht beurteilen. Jedenfalls ist eine Begutachtung in einer Einrichtung eine sehr einschneidende Massnahme, die verhältnismässig sein muss.
Es folgen ein paar Bemerkungen und Fragen, die für das weitere Vorgehen hilfreich sein könnten.
Warum gelingt die Zusammenarbeit mit den Eltern nicht, weder mit der Schule, der KESB noch der Beiständin? Was wurde alles unternommen, um die Eltern „ins Boot zu holen“, sie zu befähigen, ihrem Kind den Grundschulunterricht zu ermöglichen?
Besteht eine Zusammenarbeit zwischen der Schule, den Eltern, der Beiständin und KESB? Ist der Einbezug der Eltern, eine transparente Kommunikation und eine vollständige Information der Eltern gewährleistet, auch wenn sie nicht kooperativ sind?
Dem Sachverhalt ist nicht zu entnehmen, ob es vorliegend primär um die Durchsetzung der Schulpflicht geht, und wenn ja, ob die schulrechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft wurden und die Schule mit einer Gefährdungsmeldung an die KESB gelangte (vgl. dazu den Leitfaden zur Zusammenarbeit zwischen den Schulen und den Kindes- und Erwachsenenschutzbehörden (KESB) bei Gefährdung des Kindeswohls, der KESB-Präsidien -Vereinigung (KPV) des Kantons Zürich und dem Volksschulamt des Kantons Zürich, abrufbar auf: https://vsa.zh.ch/internet/bildungsdirektion/vsa/de/schulrechtfinanzen/schulrecht/jcrcontent/contentPar/downloadlist/downloaditems/leitfadenzurzusamm.spooler.download.1482153340396.pdf/leitfadenzusammenarbeitschulenkesb.pdf).
Den Eltern kann gestützt auf Art. 307 Abs. 3 ZGB die Weisung erteilt werden, die entsprechenden Abklärung/Untersuchung des Kindes bei einer bezeichneten Stelle zu veranlassen und/oder das Kind in die Schule zu schicken. Die Beiständin kann mit der Überwachung der Weisung beauftragt werden. Eine Strafandrohung kann ausgesprochen werden (vgl. dazu KOKES-Praxisanleitung Kindesschutzrecht, Rz 2.31).
Greift die Weisung nach Art. 307 Abs. 3 ZGB nicht, so hat die KESB z.B. eine ambulante oder stationäre Abklärung anzuordnen und für den Vollzug zu sorgen (vgl. KOKES-Praxisanleitung Kindesschutzrecht, Rz 3.25 ff. und 5.96).
Die Beiständin nach Art. 308 Abs. 2 i.V.m. Art. 308 Abs. 3 ZGB mit der entsprechenden Abklärung/Untersuchung des Kindes zu beauftragen oder für die Beschulung zu sorgen, dürfte am Widerstand der Eltern faktisch scheitern.
Ich hoffe, die Angaben sind hilfreich und ich grüsse Sie freundlich.
Luzern, 18.9.2018
Karin Anderer