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Antrag Flüchtlingshilfe zur Kostenübernahme eines operativen Eingriffs

Veröffentlicht:
18.10.2021
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialversicherungsrecht

Guten Tag,

Ich arbeite in einem Akutspital als Sozialarbeiterin und wende mich mit Fragestellungen zu einem Fall an Sie, der mir von einer unserer Oberärztinnen weitergemeldet wurde.

 

Fallmeldung:

Frau M. wird ambulant in der Adipositassprechstunde betreut. Derzeit wird durch die behandelnde Oberärztin einen bariatrischen Eingriff bei ihr geprüft. Die Oberärztin sieht jedoch einige administrative Hürde: die Patientin stammt aus dem Irak, hat einen F-Ausweis und ist über einen Voucher krankenversichert. Sie ist Analphabetin und spricht quasi kein Deutsch. Die Familie wird durch die Flüchtlingshilfe finanziell unterstützt/finanziert.

 

Konkrete Fragen der Oberärztin:

 -  Ein bariatrischer Eingriff erfordert lebenslange medizinische Nachsorge, d.h. ich muss weitestgehend sicher sein, dass die Patientin Zugang hat zu med. Versorgung nach westl. Standards. Ich bräuchte also eine Zusicherung, dass sie nicht gegen ihren Willen in den Irak zurück muss. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass mir das irgend eine Behörde schriftlich ausstellen wird, weil dies ja quasi gleichbedeutend wäre mit einer vorzeitigen Zusage eines neuen Aufenthaltsstatus. Zudem bin ich an meine Schweigepflicht gebunden und kann in meiner Anfrage nur formulieren, dass sich die Patientin in meiner Behandlung befindet und in Abklärung ist für eine elektiven Eingriff, in dessen Folge lebenslange medizinische Nachsorge nötig wäre. An welche Behörde muss ich mich hierfür wenden?

-  Falls die OP erfolgt ist es med. sinnvoll, dass die Patientin wenigstens fünf Jahre durch unser Zentrum nachbetreut wird, also den Wohnort nicht wechselt. Kann ich dies ebenso beantragen?

-  Ein Teil der postoperativ nötigen Medikation wird nicht von der Krankenkasse übernommen und müsste durch die Patientin selbst finanziert werden. Kann ein Antrag bei der Flüchtlingshilfe zur Übernahme dieser Kosten gestellt werden?

-  Falls ich mich recht erinnere ist es mit dem Vouchersystem so, dass stationäre elektive Aufenthalte eine vorherige Kostengutsprache brauchen. Strategisch macht es wahrscheinlich Sinn die Kostengutsprache dann bereits bei Beginn eventueller präoperativer Abklärungen einzuholen, um nicht vergebens Zeit zu investieren im Falle einer Ablehnung, oder?

 

Ich habe mich bereits etwas kundig gemacht (es handelt sich leider überhaupt nicht um mein daily business), würde aber gerne Ihre Gedanken zu den gestellten Fragen hören, sofern Sie etwas dazu sagen können.

Vielen Dank im Voraus für Ihre Zeit,

Helene Graber

Frage beantwortet am

Peter Mösch Payot

Expert*in Sozialversicherungsrecht

Guten Tag

1. Eine Person mit einem F-Ausweis ist vorläufig Aufgenommen.

Die Tatsach der notwendigen Nachsorge, bzw. der Notwendigkeit des Zugangs zu Medizinleistungen nach westlichem Standard wird alleine ausländerrechtlich keine rechtliche Zusicherung für einen Aufenthalt in der Schweiz ermöglichen. Vorsorglich wird das Migrationsamt (das wäre hier die zuständige Behörde) keine solche Zusage machen.

2. Aber die gesundheitliche Situation der Betroffenen könnte dazu führen, dass ein Härtefallgesuch gestellt werden kann (vgl. Art. 84 Abs. 5 AIG).  Am besten erfolgt insoweit eine Zusammenarbeit mit der Flüchtlingshilfe, die entsprechende Chancen einschätzen kann. Für ein solches Gesuch ist auf jeden Fall ein Aufenthalt von fünf Jahren in der Schweiz notwendig. Der Gesundheitszustand ist dabei ein wesentliches Kriterium (Art. 31 Abs.1 Bst. f VZAE)

Vgl. Ziff. 5.6.10 der Weisung des SEM; zu finden unter https://www.sem.admin.ch/sem/de/home/publiservice/weisungen-kreisschreiben/auslaenderbereich.html

3. Soll dieses Härtefallgesuch, und der entsprechende Verbleib in der Schweiz, mit der medizinischen Situation und der Notwendigkeit der Operation und der Nachsorge mitbegründet werden, so sind die medizinischen Grundlagen offenzulegen. Dafür wäre notwendig, dass eine Entbindung vom Arztgeheimnis durch die Betroffene erfolgt.

4. Wenn der Aufenthalt in der Schweiz (als medizinische Voraussetzung der Operation) tatsächlich sichergestellt werden könnte, stellt sich die Frage der Kostenübernahme. 

5. Soweit Medikamente nach KVG nicht übernommen werden können, so gelten Sie nur ganz ausnahmsweise als notwendig in dem Sinne, dass sie dann über die Sozialhilfe für vorläufig Aufgenommenen gewährt werden können.

Abzuklären wäre in Ihrem Fall vom Sachverhalt her noch, wer im vorliegenden Fall die Sozialhilfe gewährt. Die von Ihnen genannte Flüchtlingshilfe (falls es sich um die Schweizerische Flüchtlingshilfe handelt) operiert als Dachverband und kennt nur einen ergänzenden Unterstützungsfonds, bei dem eher in Notsituationen Anträge auf Unterstützung gestellt werden können. Siehe https://www.fluechtlingshilfe.ch/hilfe-fuer-asylsuchende/unterstuetzungsfonds

Für die Sozialhilfe, die hier eventuell über eine NGO im Auftrag eines Kantons durchgeführt wird (je nach Kanton Heilsarmee, Rotes Kreuz, Caritas etc.), bestünde auf jeden Fall nur bei einem eindeutigen und gut begründeten medizinischen Beleg der Notwendigkeit der Medikamente eine Chance der Kostenübernahme. Ansonsten müssten über Fonds und Stiftungen, oder eben den Unterstützungsfonds des SFH eine Kostenübernahme geprüft werden.   

6. Asylsuchende und vorläufig aufgenommene Ausländerinnen und Ausländer haben bei medizinischen Anliegen in einigen Kantonen (z.B. im Kanton Bern) nach dem kantonalen Recht zum Teil keine freie Arztwahl. Im Kanton Bern müssen sie  immer einen zugewiesenen Erstversorgerarzt aufsuchen, der dann die Notwendigkeit des Verweises an eine Spezialärztin/einen Spezialarzt prüft. Auch insoweit ist eine Abklärung und Zusammenarbeit mit der Stelle, welche die Sozialhilfe auszahlt, notwendig.

Ich hoffe, das dient Ihnen. 

Peter Mösch Payot