Grüezi
Ich arbeite mit einem Klienten zusammen, der aktuell im Stundenlohn mit einem 40-80% Pensum arbeitet. Der Klient möchte aufgrund seiner Gesundheit nicht 100% arbeiten, lieber im Bereich von 60-80%. Wegen seiner gesundheitlichen Situation fällt der Klient immer wieder für ein paar Tage aus, sein Einkommen ist entsprechend tief. Sein BEX liegt bei CHF 1600.-, Klient ist auf der schwarzen Liste, eine Stabilisierung seiner gesundheitlichen Situation somit erschwert. Gemäss seiner Abrechnung der ALV scheint Klient per Ende 2021 noch Anspruch auf 249 Taggelder zu haben, Rahmenfrist gemäss Abrechnung Feb. 21 ist bis 16.04.2022 eingetragen.
1. Wie verhält es sich mit Ansprüchen bei der Arbeitslosenversicherung wenn Arbeitsvertrag vorhanden ist?
2. Der Klient war in Haft und war stellenweise krank. Würde die Möglichkeit bestehen, den Klienten rückwirkend krankzuschreiben und den Haftaufenthalt zu kumulieren, damit er von der Rahmenfrist befreit wäre?
3. Ist meine Annahme richtig, dass bei einer erneuten Anmeldung die Rahmenfrist wieder geprüft wird, also 12 Mt. Beitragszeit innerhalb 24 Mt.
3. Welches Vorgehen macht in diesem Fall Sinn? Wo könnten allenfalls noch Ansprüche geltend gemacht werden?
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Gerne beantworte ich Ihre Fragen.
a) Ein bestehender Arbeitsvertrag führt grundsätzlich dazu, dass im Rahmen des Vertrages kein Arbeits- und Erwerbsausfall (vgl. Art. 8 AVIG) bestehen kann, der dann bei der Arbeitslosenversicherung versichert wäre.
Immerhin kann aber in Aufstockungsfällen, wenn also jemand einen Arbeitsvertrag hat z.B. zu 50%, aber eine Stelle sucht mit höherem Pensum, entsprechend eine versicherte Arbeitslosigkeit bestehen.
Eine weitere Ausnahme besteht bei so genannter faktischer Arbeitslosigkeit. Diese wäre gegeben, wenn jemand zwar noch einen laufenden Arbeitsvertrag hat, aber faktisch die entsprechenden Verpflichtungen zu Lohn und Arbeit nicht mehr bestehen und die Person der Arbeitsvermittlung vorbehaltlos zur Verfügung steht (z.B. bei definitiver Freistellung; vgl. BGE 119 V 156).
Verliert jemand eine Stelle wie hier, wo ein Teil der Arbeitsleistung und des Lohnes nach Wahl des Arbeitgebers abgerufen so gilt Folgendes: Da besteht nur ein anrechenbarer Arbeits- und Erwerbsausfall, wenn zuvor die Einsätze im Rahmen des Vertrages einigermassen regelmässig ausfielen. Vgl. dazu B 95ff. AVIG-Praxis. Siehe unter https://www.arbeit.swiss/secoalv/de/home/service/publikationen/kreisschreiben---avig-praxis.html.
b) Eine weitere Voraussetzung ist das Erfüllen der Beitragszeit. Für die Befreiung von Beitragszeit gilt Art. 14 AVIG : Von der Erfüllung der Beitragszeit befreit sind Personen, die innerhalb der Rahmenfrist (Art. 9 Abs. 3) während insgesamt mehr als zwölf Monaten nicht in einem Arbeitsverhältnis standen und die Beitragszeit nicht erfüllen konnten aus bestimmten Gründen. Ein Grund ist Krankheit (Art. 14 Abs. 1 lit. b AVIG). Ein anderer, dass der Aufenthalt in einer Haftanstalt es unmöglich gemacht hat, die Beitragszeit zu erfüllen (Art. 14 Abs. 1 lit. c AVIG).
Die Befreiungsgründe sind kumulierbar (B 182 AVIG-Praxis). Von daher kann die Krankschreibung für einige Monate mit dem Haftanstaltsaufenthalt insgesamt dazu führen, dass mehr als ein Jahr keine Möglichkeit zur Erfüllung der Beitragszeit bestand. Und somit eine Beitragszeitbefreiung möglich ist. Zu beachten ist aber, dass dafür streng geprüft wird, ob tatsächlich die Krankheit, bzw. der Aufenthalt in der Haftanstalt eine Erwerbstätigkeit verunmöglicht hat.
c) Zur Rahmenfrist für den Leistungsbezug: Sie schreiben, dass eine frühere Rahmenfrist im April 2022 abgelaufen ist. Das heisst, dass bei einer Neuanmeldung die Rahmenfrist für die Beitragszeit neu geprüft wird.
d) Vor dem Hintergrund der genannten Ausführungen kann eine Meldung bei der ALV sinnvoll sein. Sie schreiben auch von gesundheitlichen Einschränkungen. Soweit diese längerfristig bestehen und erheblich sein könnten, wäre hier eine IV-Anmeldung zu prüfen.
Insbesondere mit Blick auf mögliche Massnahmen zur beruflichen Integration, soweit die bestehende Arbeitsunfähigkeit noch erheblich besteht.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot