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Anspruch Ergänzungsleistungen bei hängigem Gesuch um Kantonswechsel

Veröffentlicht:
25.05.2023
Kanton:
Bern
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialversicherungsrecht

Guten Tag

Eine 64-jährige Frau mit Anspruch auf eine AHV-Rente und EL mit Ausweis F (VA7+) ist per Juli 2021 vom Kanton Bern in den Kanton Schaffhausen zu ihrer Tochter gezogen. Den Kantonswechsel hat sie beantragt, dieser war jedoch zum Zeitpunkt des Umzugs in den Kanton Schaffhausen noch nicht bewilligt. Die AKB hat die EL aufgrund des Wegzugs per 01.07.2021 eingestellt (Abmeldung in Einwohnerkontrolle im Kt. Bern). Da der Kantonswechsel jedoch vom SEM noch nicht bewilligt war, konnte sich die Frau in Schaffhausen bei der EWK nicht anmelden. Sie wurde zudem auch beim Sozialdienst abgewiesen, da sie nicht bei der EWK gemeldet sei, was unseres Erachtens falsch war, da sie bedürftig war und gemäss ZUG der Unterstützungswohnsitz in Schaffhausen war. 

Im November 2022 meldete sich die Frau wieder bei der EWK des Kantons Bern an. Sie war in einem WG-Zimmer einer Bekannten untergekommen. Sie meldete sich bei uns zum Bezug von SH. Wir stiegen aufgrund der Bedürftigkeit sofort ein (ihre AHV-Rente wurde ebenfalls im April 2022 eingestellt, da für die AKB der Aufenthaltsort der Frau unbekannt war) und halfen ihr, die AHV-Rente sowie EL im Kanton Bern geltend zu machen. An die AKB verfassten wir ein Begleitschreiben mit der Situationsschilderung oben. Die AHV-Rente wurde rückwirkend per Mai 2022 reaktiviert und die EL wurden ab dem neuen Meldedatum, d.h. ab Januar 2023 verfügt. 

Für uns stellt sich nun die Frage, ob der Kanton Bern nicht rückwirkend EL vergüten müsste, da die Frau faktisch gar nie Wohnsitz in Schaffhausen begründen konnte und somit dort keinen Anspruch auf EL geltend machen konnte? Wahrscheinlich ist dies nicht der Fall, da sie sich nicht bei der AKB gemeldet hat!? Zu erwähnen ist, dass sie im Kt. Schaffhausen kein Gesuch um EL eingereicht hat - es ist nichts schriflich dokumentiert. Erschwerend kommt hinzu, dass die Frau kein deutsch spricht und versteht. Grundsätzlich stellen wir uns die Frage, wer in solchen Fällen (hängiges Gesuch um Kantonswechsel / Umzug in anderen Kanton bereits erfolgt) für die Ausrichtung der EL zuständig ist, wo der zivilrechtliche Wohnsitz ist - wir haben noch weitere solche Fälle. Wir haben auch die Erfahrung gemacht, dass die Leute aufgrund einer fehlenden Anmeldung bei der jewiligen EWK von den Sozialdiensten abgewiesen werden, obwohl gemäss ZUG die Zuständigkeit aufgrund des Unterstützungswohnsitzes gegeben wäre. 

Die erwähnte Verfügung der EL (Anspruch ab 01.01.2023) ist bei uns am 22. Mai 2023 eingegangen. Bei der Erklärung zur Berechnung wird lediglich festgehalten: "Neuberechnung der EL nach Zuzug aud dem Kanton Schaffhausen ab Meldemonat". Macht es Sinn, gegen diese Verfügung vorzugehen? Die Rechtsmittelfrist läuft bis 21. Juni 2023.

Besten Dank im Voraus für Ihre Rückmeldung. 

Frage beantwortet am

Peter Mösch Payot

Expert*in Sozialversicherungsrecht

 

Gerne beantworte ich Ihre Anfrage. Und entschuldige mich für die zeitliche Verzögerung, die aufgrund eines Versehens erfolgte. 

A) Ihre Ausführungen bezüglich des sozialhilferechtlichen Wohnsitzes dürften bei der hier bestehenden Sachverhaltslage korrekt sein.Vgl. dazu Art. 20, 21 und Art. 4 ZUG: AusländerInnen sind an Ihrem Wohnsitz zu unterstützen. Die ausländerrechtliche Meldebescheinigung ist dafür ein Indiz (Art. 4 Abs. 2 ZUG); der Unterstützungswohnsitz kann sich aber schon vor der entsprechenden Bescheinigung ergeben, wenn genügend Indizien dafür bestehen, dass jemand sich mit der Absicht des dauernden Verbleibens in einem Kanton aufhält und dort seinen Lebensmittelpunkt begründet hat.  

B) Für die Frage des Anspruchs auf Ergänzungsleistungen ist kumulativ notwendig, dass jemand den zivilrechtlichen Wohnsitz und den gewöhnlichen Aufenthalt (vgl. auch Art. 13 Abs. 1 und 2 ATSG) in der Schweiz hat (Art. 4 ELG).

 

Der zivilrechtliche Wohnsitz kann nach den Grundsätzen des ZGB erst aufgegeben werden am einem Ort in der Schweiz, wenn an einem anderen Ort ein zivilrechtlicher Wohnsitz begründet wird.

 

C) Ob vorliegend der Wohnsitz in Bern im Juli 2021 aufgeben wurde oder nicht kann hier offen bleiben: Im vorliegenden Fall wurde die EL nämlich (zusammen mit der AHV-Rente) eingestellt, weil der Aufenthalt unbekannt wurde. Was gemäss Sachverhalt damit zusammenhängen dürfte, dass die Versicherte sich nicht bei der in Bern zuständigen Behörde gemeldet hatte. Ohne genügenden Beleg des gewöhnlichen Aufenthaltes fällt der Anspruch auf eine EL auf jeden Fall weg.

 

D) Die Versicherte hätte damals, unabhängig von der ausländerrechtlichen Bewilligung, sich am neuen Aufenthaltsort für Ergänzungsleistungen anmelden können. Und hätte dann wohl auch Anspruch im Kanton Schaffhausen begründet, soweit sie, wie hier scheint, im Kanton Schaffhausen ihren Lebensmittelpunkt begründet hatte. Ob und inwieweit der Kantonswechsel schon bewilligt wurde, oder ob er registerrechtlich schon bei der Einwohnerkontrolle registriert wurde etc. ist insoweit nur als Indiz relevant. Der zivilrechtliche Wohnsitz kann auch ohne dies, soweit belegbar durch weitere Indizien, begründet werden (vgl. BGE 142 V 67; BGE 138 V 533).

 

E) Hätte sich die Versicherte bei oder nach ihrem Wegzug bei der in Bern zuständigen Behörde gemeldet, so hätte diese das Gesuch an die zuständige Behörde weiterleiten müssen (Art. 30 ATSG). Wäre die Zuständigkeit, wegen der ev. unklaren Frage des Zeitpunktes des Wechsels des zivilrechtlichen Wohnsitzes, zwischen den beiden kantonalen EL-Stellen strittig gewesen, so hätte ein Gesuch gestellt werden müssen in Schaffhausen, bzw. die Ausgleichskasse Bern hätte wegen der Weiterleitungspflicht die Zuständigkeit übertragen müssen. Diese EL-Stelle, bei welcher die Anmeldung eingereicht oder Übertragung gestellt wurde, hätte dann im Fall, dass sie die Zuständigkeit hätte bestreiten wollen, eine rechtsmittelfähige Nichteintretensverfügung erlassen müssen, wenn sie die Zuständigkeit bestritten hätte.

Dabei hätte vorläufig eine provisorische Zuständigkeit bestanden am Aufenthaltsort (vgl. BGE 132 V 80; WEL R. 1500.01 und 1500.02).

 

F) Die neue Verfügung des AK Bern ist m.E. korrekt. Weil im Sachverhalt unbestrittenermassen im Zeitraum ab Juli 2021 kein gewöhnlicher Aufenthalt belegbar war, bzw. gar offen war, ob ein Aufenthalt in der Schweiz aufgeben wurde.

 

Mit Blick auf die hier vorliegende Verletzung der Meldepflicht (Art. 24 ELV) kann ich nicht erkennen, wie hier ein Ersuchen, etwa um eine rückwirkende Gesuchstellung (Art. 53 Abs. 2 ELG analog) begründet werden sollte.

 

Ich hoffe, das dient Ihnen.

Peter Mösch Payot