Guten Tag
Bei meiner Anfrage geht es um folgenden KL:
m, 56j.
aus Afghanistan, in der CH seit Oktober 2010
vorläufig aufgenommen (Ausweis F)
WSH-Empfänger
seit einem Hirninfarkt vor ca. 3 Jahren leidet der KL unter verschiedenen körperlichen Beschwerden. Im März 2021 wurde die IV-Anmeldung vorgenommen.
Die IV hat am 9.7.2021 den Vorbescheid verschickt, dass es zu keinem Rentenanspruch kommt, weil kein Sozialabkommen zwischen Afghanistan und der Schweiz besteht und keine Beiträge entrichtet wurden. Der KL erfüllt daher die Voraussetzungen für eine IV-Rente nicht.
Die IV empfiehlt aber eine Anmeldung für EL.
Bei der Recherche für den EL-Anspruch habe ich folgenden Text gefunden:
Staatsangehörige aus einem Land, mit dem die Schweiz kein Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen hat, können keine Ergänzungsleistungen beziehen, selbst wenn sie sich zehn oder mehr Jahre in der Schweiz aufgehalten haben. Ausser sie haben einen Anspruch auf eine Rente der AHV oder auf eine Witwen-, Witwer- oder Waisenrente, wenn ihr verstorbener Ehegatte bzw. der verstorbene Elternteil die Mindestbeitragsdauer erfüllt hätte, oder sie beziehen selber eine Rente, ein Taggeld oder eine Hilflosenentschädigung der IV.
Meines Erachtens schliesst dies ein Anspruch vom KL auf EL aus.
Können Sie mir sagen ob der KL Anspruch auf Leistungen der EL hat? bzw. macht eine Anmeldung Sinn?
Herzlichen Dank im Voraus für Ihre Antwort und freundliche Grüsse
F. Di Maggio
Frage beantwortet am
Daniel Schilliger
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Guten Tag Frau Di Maggio
Nach Art. 36 IVG haben Versicherte Anspruch auf eine ordentliche Rente, die bei Eintritt der Invalidität während mindestens drei Jahren Beiträge geleistet haben. Bevor die Invalidität eingetreten ist, müssen also 3 Jahre IV-Beiträge eingezahlt worden sein.
Nach Art. 4 Abs. 2 IVG gilt die Invalidität als eingetreten, sobald sie die für die Begründung des Anspruchs auf die jeweilige Leistung erforderliche Art und Schwere erreicht hat. Der Rentenanspruch ist in Art. 28 ff. IVG geregelt und dort wird festgehalten, dass eine Rente (unter anderem) nach Ablauf eines Jahres mit durchschnittlich 40% Arbeitsunfähigkeit entstehen kann.
Ihr Klient ist seit 2010 in der CH. Der Hirninfarkt ist offenbar erst ca. 2017/2018 passiert. Wenn wir davon ausgehen, dass der Infarkt der Beginn der Arbeitsunfähigkeit markiert, wäre die Invalidität bezogen auf eine IV-Rente ein Jahr später, also 2018/2019 eingetreten.
Da der Klient bei Eintritt der Invalidität schon lange in der Schweiz war, stellt sich die Frage warum er keine AHV/IV-Beiträge leistete.
Gemäss Art. 14 Abs. 2bis AHVG sind die Beiträge von Asylsuchenden, vorläufig Aufgenommenen und Schutzbedürftigen ohne Aufenthaltsbewilligung, die keine Erwerbstätigkeit ausüben, erst dann festzusetzen und unter Vorbehalt von Artikel 16 Absatz 1 (=Verjährung) zu entrichten, wenn:
a) diese Personen als Flüchtlinge anerkannt wurden;
b) diesen Personen eine Aufenthaltsbewilligung erteilt wird; oder
c) auf Grund des Alters, des Todes oder der Invalidität dieser Personen ein Leistungsanspruch nach AHVG oder IVG entsteht.
a) und b) sind wohl nicht erfüllt, also bleibt Buchstabe c). Die Invalidität ist offenbar hier unbestritten, dann müssten die Beiträge festgesetzt und (maximal 5 Jahre) rückwirkend ab Wohnsitznahme geleistet werden. Es empfiehlt sich also mit der Ausgleichskasse zu klären, ob rückwirkend Beiträge zu leisten sind. Daraus ergibt sich, ob allenfalls die Beitragszeit (nachträglich) nun doch erfüllt ist. Sollte dem so sein, ist das ein Grund zur Revision des IV-Entscheides. Ein entsprechendes Gesuch wäre dann bei der IV einzureichen.
Wenn es dabei bleibt, dass die Beitragszeit nicht erfüllt ist, kann ein Anspruch auf die sogenannte «Rentenlose EL» geprüft werden. Nach Art. 4 Abs. 1 lit. d ELG können auch Personen ohne eine IV-Rente eine EL beantragen, wenn sie nur deshalb keine IV-Rente beanspruchen können, weil sie die Mindestbeitragsdauer nach Artikel 36 IVG nicht erfüllen.
Diese Regelung gilt gemäss Art. 5 ELG zwar nicht für alle Ausländer, aber doch für Flüchtlinge. Als Flüchtlinge gelten einerseits Personen, denen die Schweiz Asyl gewährt hat und andererseits Personen, die als Flüchtlinge gelten, deren Asylantrag jedoch abgewiesen wurde (Bewilligung F mit Hinweis « Flüchtling »; vgl. dazu auch die Mitteilung Nr. 327 an die AHV-Ausgleichskassen und EL-Durchführungsstellen). Ihr Klient fällt also möglicherweise auch darunter. Diese Menschen können eine Ergänzungsleistung nach einer Karenzfrist von 5 Jahren erhalten (Art. 5 Abs. 2 ELG). Ein entsprechendes Gesuch ist bei der EL-Behörde einzureichen.
Wenn ihr Klient schliesslich, weder die Beitragszeit erfüllt, noch als Flüchtling im oben beschriebenen Sinne gilt, hat er weder Anspruch auf eine IV-Rente noch eine EL.
Ich hoffe das hilft ein bisschen
Freundlicher Gruss
Daniel Schilliger