Guten Tag
Ich habe eine Patientin in der Beratung, die im Stundenlohn (Arbeitspensum zwischen 20 - 65%) seit Mai 2021 angestellt ist. Da sie aus psychischen Gründen ihren vorherigen Arbeitsplatz verloren hatte und das in ihrem Arbeitszeugnis aufgetaucht ist, habe sie sich recht offen ihrem neuen Arbeitgeber verhalten und ihm mitgeteilt, dass sie immer mal wieder psychische Probleme habe und dann nicht arbeiten kann. Sie habe mit ihm eine mündliche Vereinbarung getroffen: Wenn sie aufgrund von psychischer Erkrankung berufliche Ausfälle habe, dann würde er ihr keinen Lohn zahlen.
Die Patientin ist jetzt seit 3 Wochen 100% arbeitsunfähig. Der Chef hat ihr gesagt, dass er aufgrund der Abmachung kein AUF - Zeugnis benötige. Geplant ist ein Klinikaufenthalt, also eine längerfristige Arbeitsunfähigkeit steht im Raum. Eine Krankentaggelversicherung ist vorhanden.
Ich stelle mir die Frage, ob der Arbeitgeber den Krankheitsfall der Krankentaggeldversicherug melden muss? Die Patientin hat keine Lohnfortzahlung erhalten. Kann sich der Arbeitgeber auf die mündliche Abmachung berufen?
Die Patientin hat grundsätzlich Angst Ansprüche zu stellen, da sie negative Auswirkungen auf ihr Arbeitszeugnis befürchtet.
Vielen Dank und freundliche Grüsse
Frage beantwortet am
Kurt Pärli
Expert*in Arbeitsrecht
Sehr geehrte(r) Fragesteller(in)
Gerne beantworte ich Ihre Frage wie folgt:
Art. 324a OR regelt die Frage der Lohnfortzahlungspflicht bei Verhinderung des Arbeitnehmers:
1 Wird der Arbeitnehmer aus Gründen, die in seiner Person liegen, wie Krankheit, Unfall, Erfüllung gesetzlicher Pflichten oder Ausübung eines öffentlichen Amtes, ohne sein Verschulden an der Arbeitsleistung verhindert, so hat ihm der Arbeitgeber für eine beschränkte Zeit den darauf entfallenden Lohn zu entrichten, samt einer angemessenen Vergütung für ausfallenden Naturallohn, sofern das Arbeitsverhältnis mehr als drei Monate gedauert hat oder für mehr als drei Monate eingegangen ist.
2 Sind durch Abrede, Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag nicht längere Zeitabschnitte bestimmt, so hat der Arbeitgeber im ersten Dienstjahr den Lohn für drei Wochen und nachher für eine angemessene längere Zeit zu entrichten, je nach der Dauer des Arbeitsverhältnisses und den besonderen Umständen.
3 Bei Schwangerschaft der Arbeitnehmerin hat der Arbeitgeber den Lohn im gleichen Umfang zu entrichten.
4 Durch schriftliche Abrede, Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag kann eine von den vorstehenden Bestimmungen abweichende Regelung getroffen werden, wenn sie für den Arbeitnehmer mindestens gleichwertig ist.
Die Art. 324a Abs. 1 - 3 OR sind gemäss Art. 362 relativ zwingende Bestimmungen, d.h., dass durch Abrede, Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag nicht zu Ungunsten der Arbeitnehmenden abgewichen werden darf. Abweichungen zu Gunsten der ARbeitnehmenden sind aber zulässig. Abs. 4 hält die "Gleichwertigkeitsregel" fest, die insbesondere die Lösungen mit Taggeldversicherungen umfasst.
Gemäss Ihrem Sachverhalt wurde ein Arbeitsvertrag mit einem Verzicht auf Lohnfortzahlung abgeschlossen. Wie gezeigt wurde, sind die Bestimmungen zur Lohnfortzahlung nach Art. 324a OR nicht zu Ungunsten der Arbeitnehmenden abänderbar. Das bedeutet, dass ein Arbeitsvertrag, der eine Bestimmung beinhaltet, wonach bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit kein Lohn geschuldet ist, in diesem Punkt nicht gültig ist. Anstelle der unzulässigen Regelung tritt die im Gesetz vorgesehene Bestimmung, d.h,, dass die Lohnzahlung nach Art. 324a OR geschuldet ist.
Sie erwähnen weiter, dass der fragliche Betrieb eine Kollektik-Krankentaggeldversicherung abgeschlossen hat. Hier bräuchte ich nähere Informationen. Ab welchem Krankheitstag leistet die Versicherung? Sind alle Arbeitnehmenden eingeschlossen, auch solche, die bei Arbeitsbeginn vorbesehende Leiden haben? Wurden Risikoprüfungen durchgeführt? Je nach Antwort auf dieser Fragen treten im vorliegenden Sachverhalt unterschiedliche Rechtsfolgen ein. Wenn es sich um eine Versicherung mit "Vollschutz" handelt, dann müsste der Arbeitgeber die Arbeitnehmerin der Taggeldversicherung melden, damit diese Ihre Leistungen erbringt.
Genügen Ihnen diese Auskünfte?
Bei Bedarf stehe ich Ihnen für weitere Informationen gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüssen
Kurt Pärli