Guten Tag
Folgendes ist der Fall. Eine Klientin hat einen Abschluss als Hauswirtschaftspraktikerin EBA. Die IV war bereits bei der Ausbildung involviert. Seit 2016 arbeitete sie in einem Alters- und Pflegeheim (APH) zu 60 % und daneben in einem Privathaushalt zu 40 %. Im Früjahr 2018 hatte sie bei der Arbeit im APH einen psychischen Zusammenbruch und wurde hospitalisiert. Seit dem Zusammenbruch konnte sie nicht mehr im APH arbeiten, die Arbeit im Privathaushalt führt sie weiterhin aus.
Nach dem Zusammenbruch wurde die IV erneut involviert. Diese stellte einen Invaliditätsgrad von 60 % fest. Die Pensionskasse des APH hat darauf in einem Ablehnungsschreiben festgehalten, es bestehe kein Anspruch auf Invalidenleistungen aus der Pensionskasse mit folgender Begründung:
«Das Bundesgericht führt im Urteil 9C133/2017 vom 07.03.2018 in Erwägung 6.2 aus, dass sich der vorsorgerechtlich relevante Invaliditätsgrad aufgrund eines Valideneinkommens entsprechend dem Grad der Teilerwerbstätigkeit – und nicht im Verhältnis zu einer (hypothetischen) Vollzeiterwerbstätigkeit – bemisst. Weiter führt das Bundesgericht aus, dass das neue Modell der gemischten Methode insoweit eine Änderung mit sich bringt, als das Teilzeit-Valideneinkommen nunmehr auf eine (hypothetische) Vollerwerbstätigkeit hochgerechnet wird. Es ändert indessen nichts daran, dass die berufliche Vorsorge nur den erwerblichen Teil umfasst. Das Bundesgericht hält somit fest, dass das von der IV im Entscheid ermittelte Valideneinkommen für die Durchführungsorgane der beruflichen Vorsorge grundsätzlich verbindlich ist, dass dieses dann aber auf den in der beruflichen Vorsorge versicherten Beschäftigungsgrad bei Arbeitsunfähigkeitsbeginn herabgebrochen werden muss.»
Die Pensionskasse schliesst daraus, der Invaliditätsgrad betrage für die Pensionskasse lediglich 33 % und liege somit unter der 40-%-Hürde.
Die Frage ist nun, ob diese Argumentation mit diesem Bundesgerichtsurteil «verhebbt» oder ob es sich allenfalls lohnen würde, zu klagen. Der eklatanteste Unterschied zwischen dem Fall und dem Bundesgerichtsurteil ist unseres Erachtens, dass die Frau im Fall 60 % beim APH und 40 % in einem Privathaushalt arbeitete, also durchaus reell einer 100-%-Erwerbstätigkeit (verteilt auf zwei Arbeitgebende) nachging, während die Person im BGE insgesamt zu 80 % beschäftigt war.
Vielen Dank für die Expertenmeinung!
Beste Grüsse
Michael Stalder
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Sehr geehrter Herr Stalder
Es ist korrekt, dass die Praxis der IV bei der gemischten Methode, das Valideneinkommen auf ein 100%-Pensum hochzurechnen, um den IV-Grad für den Erwerbsbereich zu bemessen, für die PK nicht gilt (Art. 27bis Abs. 3 IVV). Diese darf also tatsächlich gemäss dem Urteil 9C133/2017 vom 07.03.2018 für die Berechnung des für die PK relevanten IV-Grades das Valideneinkommen nach dem realen Erwerbseinkommen bemessen.
Korrekt ist auch, dass das Bundesgericht in der bisherigen Rechtsprechung daran festhält, dass sich der vorsorgerechtlich relevante Invaliditätsgrad aufgrund eines Valideneinkommens entsprechend dem Grad der Teilerwerbstätigkeit - und nicht im Verhältnis zu einer (hypothetischen) Vollzeiterwerbstätigkeit - bemisst. (BGE 144 V 63 E.6.2; BGE 144 V 72; BGer 9C 133/2017 vom 07.03.2018; BGE 141 V 127).
Gemäss dem Bundesgericht gilt aber in Fällen von Mehrfachbeschäftigungen Folgendes: Die Vorsorgeeinrichtung des Arbeitgebers, bei welchem der Versicherte weiterhin tätig ist, ist nicht leistungspflichtig. Ist beim anderen Arbeitgeber eine Tätigkeit gar nicht mehr möglich, sei dort eine ganze Rente auszurichten (BGE 129 V 132; BGE 136 V 390).
Bezogen auf den vorliegenden Fall ist zu beachten, dass as, dass hier NICHT ein Entscheid der gemischten Methode vorliegt: Im Entscheid der IV wurde also in dieser Konstellation das reale Einkommen nicht auf ein «hypothetisches» 100%-Pensum hochgerechnet.
Gemäss der genannten bisherigen BGer-Praxis hat in der vorliegenden Konstellation nur die Vorsorgeeinrichtung des APH für eine volle entsprechende Invaliditätsleistung einzustehen.
Bei einer Erwerbsunfähigkeit gemäss der IV von 60% hat dies mit einer erheblichen Wahrscheinlichkeit zur Folge, dass die Tätigkeit im APH vollständig nicht mehr möglich ist. Es wäre also im Lichte der Praxis zu Mehrfachtätigkeiten (BGE 129 V 132; BGE 136 V 390) hier eine volle Rente (berechnet auf dem Lohn aus dem Beschäftigungsgrad von 60%) auszurichten (siehe dazu BGE 129 V 132 E. 4.3.3).
Falls die Vorsorgeeinrichtung auf diese Sichtweise nicht einlenkt, so ist hier auf jeden Fall eine Klage zu prüfen. Ich rate dazu, dafür juristische Beratung in Anspruch zu nehmen. Insbesondere auch, weil in solchen Fällen die Bindungswirkung an den IV-Entscheid entfällt und die PK von sich aus die Frage der Einschränkung der Arbeits- und Erwerbsfähigkeit eigenständig prüfen und beurteilen könnte.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot