Liebes Beratungsteam
Beim aktuellen Fall handelt sich um eine 48-jährige Pat. mit Epilepsie seit 1990 mit mehreren Anfällen pro Monat. Bis 1992 hat sie im erlernten Beruf im Detailhandel gearbeitet und nebenbei die Handelsschule absolviert. Ab 01/11/1995 war sie in einem 100%-Pensum als Sachbearbeiterin tätig. Ab 11/1996 ist es aufgrund vieler Anfälle wiederholt zur AUF zwischen 50% und 100% gekommen. In einem Arztbericht hatte der Arzt der Pat. ab 11/1996 aufgrund der pharmakoresistenten Epilepsie eine durchgehende und bleibende 50%ige AUF attestiert, wobei die Pat. aufgrund ihrer hohen Arbeitsmoral und dem grossen Verständnis des AG, trotzdem sehr oft 100% anwesend war. Nach der Geburt des Sohnes im 08/1998 hat die Pat. die Stelle als Sachbearbeiterin gekündigt.
Noch während der Kündigungsfrist erfolgte die Anmeldung bei der IV (11/1998). Aufgrund der Angaben der Pat., dass sie bei voller Gesundheit nach der Geburt des Sohnes noch zu 50% erwerbstätig gewesen wäre, attestierte ihr die IV im 11/1999 aufgrund der gemischten Methode einen IV-Grad von 10%.
Ab 2010 war die Pat. an verschiedenen Stellen in kleinen Pensen erwerbstätig. Zuletzt in einem 20%-Pensum (08/2018 bis 05/2019). Die Stelle wurde ihr aufgrund der Epilepsie gekündigt. In dieser Zeit hatte sich herausgestellt, dass im Verlauf der Jahre zur Epilepsie eine chronische depressive Störung, vermutlich organisch mitbedingt mit zusätzlicher psychoreaktiver Komponente, sowie leicht- bis mittelgradige sprachliche, mnestische und exekutive Defizite dazu gekommen sind. Seit 06/2019 wurde sie 80% AUF geschrieben. Es erfolgte eine erneute Anmeldung bei der IV. Aufgrund der Schwere ihrer Einschränkungen hat die IV von Eingliederungsmassnahmen abgesehen und ihr per 06/2020 einen IV-Grad von 100% attestiert.
Beim letzten AG hatte sie aufgrund ihres geringen Pensums die Eintrittsschwelle für den BVG-Anspruch nicht erreicht. Die Grunderkrankung ist die Epilepsie. Jedoch konnte erst mit den Folgeschäden ein Rentenanspruch geltend gemacht werden.
Frage: Hat die Pat. Anspruch auf eine BVG-Rente? Wenn ja, welche PK müsste diese auszahlen? Wie wird in so einem Fall das valide Einkommen ermittelt?
Liebe Grüsse
Marius
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Lieber Marius
Gemäss Art. 23 BVG und der Auslegung der Norm in Lehre und Rechtsprechung ist bei einer Invalidität diejenige Pensionskasse zuständig, bei der die gesundheitliche Einschränkung und die entsprechende Arbeitsunfähigkeit sinnfällig begronnen hat. Entscheidend ist dann, dass diese Gesundheitsschädigung zeitlich und sachlich in einem genügend engen Zusammenhang steht mit der Gesundheitsschädigung, die (ev. später) zur Invalidität führt.
Schwierig sind dabei natürlich Beweisfragen. Wobei das Risiko, dass unbewiesen bleibt, wann welche Gesundheitsschädigung bereits eine relevante Arbeitsunfähigkeit zur Folge hatte oder auch jenes Risiko, dass unbewiesen bleibt, dass ein genügender medizinisch-sachlicher, aber auch ein zeitlicher Zusammenhang besteht. bei der versicherten Person liegt.
Zu diesen Aspekten gibt es eine reichhaltige Rechtsprechung, die in BVG-Kommentaren oder ev. auch auf koordination.ch abgebildet ist.
Der sachliche Zusammenhang kann z.B. entfallen, wenn das ursprüngliche Leiden durch ein zweites, anderes überlagert oder abgelöst wird (Vgl. z.B. BGer 9C_40/2008). Das ist natürlich eine Frage der konkreten medizinischen Situation.
Der zeitliche Zusammenhang wird in der Regel dann bejaht, wenn keine volle Arbeitsfähigkeit von drei Monaten oder mehr die Arbeitsunfähigkeit unterbricht (BGE 120 V 118). Das gilt auch bei rentenausschliessenden leidensangepassten Tätigkeiten (BGE 134 V 20). Ausnahmen bestehen bei Schubkrankheiten oder wenn belegt werden kann, dass medizinisch eine neue, auch länger als drei Monate dauernde Arbeitsfähigkeit nicht zu einer dauerhaften Möglichkeit der Berufsausübung befähigt.
In der geschilderten Ausgangslage mit der erheblichen zeitlichen Distanz der ersten Tätigkeit zur zweiten Tätigkeit ist es wohl nur sehr schwer möglich, dass dieser Zusammenhang der Invalidität mit der ersten Gesundheitseinschränkung aus dem genannten Grund belegbar sein dürfte.
Zur Vollständigkeit Möglich wäre aber, dass ev. die Reglemente der Vorsorgeeinrichtung im Sinne des Überobligatoriums z.B. weiterreichende Risiken der Invalidität oder schon tiefere IV-Grade oder auch Löhne unter der Eintrittsschwelle versichert.
Zu einer Anmeldung des Falles bei der Pensionskasse würde ich trotzdem raten. Primär wäre dies wohl diejenige beim letzten Arbeitgeber. Da und soweit hier aber schon keine Versicherung bestand, weil die Eintrittsschwelle fehlt, kann auch eine Anmeldung bei der PK beim ersten Arbeitgeber geprüft werden. Verbunden mit einem Bericht, der den Zusammenhang der Invalidität mit der Grunderkrankung gut aufzeigt.
Aber die Chancen sind wie dargelegt wohl sehr gering, wegen des unterbrochenen Kausalzusammenhanges.
Würde dieser bestehen wird dann die Invalidität nur nach der Einschränkung im Erwerbsbereich bemessen. Da nur dies versichert ist. Das wären vorliegend mit Blick auf die Bindungswirkung an den IV-Entscheid 100%. Als Information: Würde die Person auch im Validitätsfalle einer Teilzeiterwerbstätigkeit nachgehen, so bezieht sich der IV-Grad auf einen Vergleich des Teilzeitlohnes mit dem möglichen Lohn trotz Invalidität. Eine Aufrechnung des Teilzeitlohnes auf 100%, wie bei der gemischten Methode der IV muss die PK nicht vornehmen.
Ich hoffe, das dient.
Peter Mösch Payot