Grüezi Frau Anderer
Bei uns stellt sich folgende Frage:
Ist das Freizügigkeitsguthaben bei der Berechnung der Mandatsentschädigung/Verfahrensgebühren bei einer 61-jährigen Person mit wirtschaftlicher Sozialhilfe im Kanton Zürich als Vermögen anzurechnen (die Person ist nicht invalid und von der ALV ausgesteuert)?
Besten Dank für Ihre Antwort.
Frage beantwortet am
Karin Anderer
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Guten Tag
Nach Art.16 FZV dürfen Altersleistungen von Freizügigkeitspolicen und Freizügigkeitskonten frühestens fünf Jahre vor und spätestens fünf Jahre nach Erreichen des Rentenalters nach Artikel 13 Absatz 1 BVG ausbezahlt werden. Beziehen die Versicherten eine volle Invalidenrente der IV und wird das Invaliditätsrisiko nach Artikel 10 Absätze 2 und 3 zweiter Satz nicht zusätzlich versichert, so wird die Altersleistung auf Begehren der Versicherten vorzeitig ausbezahlt.
Einen AHV-Vorbezug können Männer und Frauen ein oder zwei Jahre vor dem ordentlichen Rentenalter beanspruchen (Art. 40 AHVG). Im Moment also Männer mit Alter 63 und Frauen mit Alter 62.
Bei sozialhilfebeziehenden Personen orientiert sich die Zürcher Sozialhilfepraxis an den Empfehlungen der SKOS-Richtlinien. Demnach sind Freizügigkeitsguthaben der 2. Säule und der Säule 3a zusammen mit dem AHV-Vorbezug oder dem Bezug einer ganzen IV-Rente herauszulösen (SKOS-Richtlinien, Kapitel D.3.3 Abs. 3). Der Lebensunterhalt ist ergänzend zur AHV- bzw. IV-Rente mit dem ausgelösten Guthaben zu bestreiten. Begründet wird diese Praxis mit der Zielsetzung der 2. Säule, der Sicherung der gewohnten Lebenshaltung in Ergänzung zu den Leistungen der AHV/IV. Die Auslösung des Guthabens, um den Lebensunterhalt bestreiten zu können, soll deshalb nicht früher erfolgen (Vgl. zum ganzen Sozialhilfe-Behördenhandbuch des Kantons Zürich, August 2012, Kapitel 9.5.02. Freizügigkeitsguthaben und private gebundene Vorsorge).
Nach Art. 404 ZGB hat der Beistand oder die Beiständin Anspruch auf eine angemessene Entschädigung und auf Ersatz der notwendigen Spesen aus dem Vermögen der betroffenen Person. Die Erwachsenenschutzbehörde legt die Höhe der Entschädigung fest und die Kantone erlassen Ausführungsbestimmungen und regeln die Entschädigung und den Spesenersatz, wenn diese nicht aus dem Vermögen der betroffenen Person bezahlt werden können.
Mandatsentschädigung
Nach § 19 EG KESR richtet sich die Kostentragung bei Massnahmen, welche die KESB oder eine Ärztin oder ein Arzt gemäss § 27 angeordnet hat, nach Art. 276, 289, 293, 328 und 329 ZGB sowie nach den Bestimmungen des Sozialhilfegesetzes vom 14. Juni 1981. Weitere Bestimmungen in anderen Gesetzen bleiben vorbehalten.
§ 6 ESBV regelt die Kostentragung durch das Gemeinwesen:
1 Die KESB auferlegt Entschädigung und Spesenersatz der Gemeinde gemäss § 22 Abs. 1 EG KESR, wenn das steuerbare Vermögen folgende Werte unterschreitet:
a. Fr. 25 000 bei alleinstehenden Personen,
b. Fr. 40 000 bei Ehepaaren und eingetragenen Partnerinnen und Partnern.
2 In begründeten Fällen kann sie davon abweichen.
3 Die betroffene Person hat ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse darzulegen und sich zu ihren Beweismitteln zu äussern.
Das Kapital, welches sich im Laufe der Jahre in der 2. Säule und der Säule 3a aufbaut, ist während der Laufzeit von der Vermögenssteuer befreit. Die Guthaben fallen somit während dieser Zeit nicht unter das steuerbare Vermögen.
M.E. kann das Freizügigkeitsguthaben deshalb nicht bei der Berechnung der Mandatsentschädigung zum Vermögen hinzugezählt werden, da der Zürcher Gesetzgeber das steuerbare Vermögen als Berechnungsbasis festgelegt hat. Und § 19 EG KESR verweist auf die Bestimmungen des Sozialhilferechts.
Urs Vogel hat sich hier im Forum zur gleichen Frage geäussert: Beratung vom 10. Juli 2017 „Freizügigkeitsleistungen als liquides Vermögen anrechnen“. Es geht darin aber um den Kanton Bern, der für die Berechnung „nur“ auf das Vermögen abstellt:
Art. 9 Verordnung über die Entschädigung und den Spesenersatz für die Führung einer Beistandschaft des Kantons Bern vom 19.9.2012 (ESBV):
In der Fassung bis 2017
1 Die Entschädigung und der Spesenersatz werden aus dem Vermögen der betroffenen Person bezahlt, soweit dieses mindestens dem Wert von 15 000 Franken entspricht.
In der Fassung ab 1.1.2018
1 Die Entschädigung und der Spesenersatz werden bis zu einem Freibetrag von 8000 Franken aus dem Vermögen der betroffenen Person bezahlt.
Deshalb kann die Berner Praxis nicht auf den Kanton Zürich übertragen werden.
Verfahrenskosten
Die Verfahrenskosten sind in § 60 EG KESR geregelt und es geht hier um die Frage, ob und wie Freizügigkeitsguthaben der 2. Säule und der Säule 3a bei der unentgeltlichen Rechtspflege angerechnet werden können.
Der Zürcher Gesetzgeber hat hier keine Berechnungsregelung erlassen.
Der Gebührenempfehlungen der KESB-Präsidienvereinigung (KPV) vom 7. Dezember 2018 ist Folgendes zu entnehmen:
„Unentgeltliche Rechtspflege
Verfügt die zahlungspflichtige Person nicht über die erforderlichen Mittel und scheint ihr Begehren nicht als aussichtslos, hat sie Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege. Die Berechnung der verfahrensrechtlichen Mittellosigkeit richtet sich nach der Zivilprozessordnung (Art. 117 ff. ZPO) und der Praxis der Zürcher Gerichte. Die gebührenpflichtige Person hat dazu einen begründeten Antrag zu stellen und die notwendigen Unterlagen beizubringen. Die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege kann auch von Amtes wegen berücksichtigt werden, insbesondere bei urteilsunfähigen Personen. Bei Personen, die wirtschaftliche Sozialhilfe beziehen, gilt die Mittellosigkeit als erstellt und muss durch die betroffene Person nicht nachgewiesen werden.
Um unverhältnismässigen Aufwand zu vermeiden, kann die verfahrensrechtliche Mittellosigkeit auch in vereinfachter Form anhand folgender Richtwerte ermittelt werden:
- Steuerbares Einkommen der zahlungspflichtigen Person beträgt weniger als CHF 40'000.– (Zuschlag CHF 5'000.– für jede weitere im gleichen Haushalt lebende Person).
- Unterschreitet das steuerbare Einkommen diese Richtwerte, sind dennoch Gebühren zu erheben, wenn das steuerbare Vermögen der zahlungspflichtigen Person mehr als CHF 15‘000 beträgt (Zuschlag CHF 5'000.– für jede weitere im gleichen Haushalt lebende Person.“
Das Bundesgericht hat in BGE 135 I 288, Regeste entschieden: „Art. 29 Abs. 3 BV; unentgeltliche Rechtspflege, Bedürftigkeit. Verzichtet ein Versicherter freiwillig auf Barauszahlung der Austrittsleistung im Sinne von Art. 5 FZG, obwohl er sie verlangen könnte, ist ihm das Freizügigkeitsguthaben bei der Prüfung der Bedürftigkeit anzurechnen (E. 2.4).“
Demnach kann für die Ermittlung der prozessuale Bedürftigkeit die Anrechnung des Freizügigkeitsguthabens, das bezogen werden könnte, grundsätzlich angerechnet werden.
Orientiert sich die KESB allerdings an der Gebührenempfehlungen der KPV, fällt die Anrechnung des Freizügigkeitsguthabens auch ausser Betracht: Sozialhilfebeziehende Personen gelten als mittellos und die Richtwerte stellen auf das steuerbare Vermögen ab. Zwar sind die Gebührenempfehlungen der KPV für eine KESB nicht verbindlich, sie bezwecken aber eine einheitliche Ermessensausübung im Kanton Zürich.
Die Evaluation des EG KESR im Kanton Zürich hat ergeben, dass der Erlass einer Gebührenverordnung notwendig erscheint (Evaluation des Einführungsgesetzes zum Kindes- und Erwachsenenschutzrecht (EG KESR) im Kanton Zürich, Schlussbericht vom 24. Juni 2020, abrufbar auf https://www.zh.ch/content/dam/zhweb/bilder-dokumente/themen/familie/kindesschutz/fachaufsicht_kesb/Eval_EG%20KESR_Schlussbericht.pdf).
Soweit mal meine Einschätzung. Für die doch recht schwierigen Rechtsfragen könnten Sie ggf. eine Stellungnahme bei der KPV oder der Aufsichtsbehörde einholen, oder ein Kurzgutachten in Auftrag geben.
Freundliche Grüsse
Karin Anderer
Luzern, 15.11.2021