Guten Tag
Uns stellt sich akutell folgende Frage:
Unser Sozialdienst (Kanton Bern) unterstützt Frau G. eine alleinerziehende Mutter. Der Kindsvater lebt von der Mutter getrennt, die elterliche Sorge und Obhut liegt bei der Mutter. Es besteht eine von der KESB genehmigte Erklärung betreffend Unterhalt, die festhält, dass der Kindsvater aufgrund eigener Sozialhilfeabhängigkeit keinen Unterhalt zahlen kann. In der Erklärung wird der Kindsvater verpflichtet allfällige Kinderzulagen und ähnliche Leistungen an die Mutter weiterzuleiten.
Bis vor kurzem wurden die Kinderzulagen direkt von der Ausgleichskasse an den Sozialdienst ausgezahlt. Infolge Stellenwechsel des Kindsvaters wurden die Zahlungen der Ausgleichskasse eingestellt. Nun weigert sich der Kindsvater die Kinderzulagen beim neuen Arbeitgeber anzumelden und/oder mitzuteilen wer der neue Arbeitgeber ist bzw. bei welcher Ausgleichskasse er nun angemeldet ist. Die zuständige Sozialarbeiterin hat bei den grössten Ausgleichskassen angefragt, der Kindsvater schien dort nicht angemeldet zu sein.
Frau G. ist nicht erwerbstätig. Können die Kinderzulagen in diesem Fall via NE-Gesuch über die Kindsmutter angemeldet werden? Da ja für den fraglichen Zeitraum keine Kinderzulagen bezogen wurden. Oder wäre es denkbar den Kindsvater zu betreiben, da der Kindsmutter und dem Kind Einnahmen fehlen auf die sie Anspruch hätten (auch wenn der Kindsvater diese Einnahmen faktisch auch nicht hat). Gibt es andere Möglichkeiten die Kinderzulagen für das Kind sicherzustellen?
Ich bedanke mich für Ihre Bemühungen und bin froh um Antworten und Hinweise.
Freundliche Grüsse
Frage beantwortet am
Anja Loosli
Expert*in Sozialhilferecht
Guten Tag
Vielen Dank für Ihre Frage. Ich beantworte diese gerne wie folgt:
Betreffend die Familienzulagen sind nach Art. 1 des Familienzulagengesetzes (FamZG, SR 836.2) die Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) anwendbar. Nach Art. 20 Abs. 1 ATS können Geldleistungen ganz oder teilweise einem geeigneten Dritten oder einer Behörde ausbezahlt werden, der oder die der berechtigten Person gegenüber gesetzlich oder sittlich unterstützungspflichtig ist oder diese dauernd fürsorgerisch betreut, sofern die berechtigte Person die Geldleistungen nicht für den eigenen Unterhalt oder für den Unterhalt von Personen, für die sie zu sorgen hat, verwendet oder dazu nachweisbar nicht im Stande ist und die berechtigte Person oder Personen, für die sie zu sorgen hat, aus einem Grund auf die Hilfe der öffentlichen oder privaten Fürsorge angewiesen sind. Die zweite Voraussetzung muss bei Familienzulagen nicht gegeben sein (Art. 9 FamZG).
Zwischenfazit I: Da der Vater vorliegend die Familienzulagen für die Kinder nicht an die Kinder weiterleitet, sie also nicht für deren Unterhalt verwendet, sind die Voraussetzungen grundsätzlich gegeben, bei der Ausgleichskasse die Auszahlung der Familienzulagen an die Sozialhilfe zu verlangen, falls der Vater Kinderzulagen erhält. Da vorliegend aber nicht bekannt ist, welches die zuständige Ausgleichskasse ist, fällt diese Möglichkeit vorerst weg.
Als weitere Möglichkeit kommt eine Schuldneranweisung in Frage. Nach Art. 285a Abs. 1 des Zivilgesetzbuches (ZGB, SR 210) sind Familienzulagen, die dem unterhaltspflichtigen Elternteil ausgerichtet werden, zusätzlich zum Unterhaltsbeitrag zu bezahlen. Wenn die Eltern die Sorge für das Kind vernachlässigen, kann das Gericht ihre Schuldner anweisen, die Zahlungen ganz oder zum Teil an den gesetzlichen Vertreter des Kindes zu leisten (Art. 291 ZGB).
Zwischenfazit II: Da der Vater Kinderzulagen nicht an die Kinder bezahlt, vernachlässigt er seine elterliche Sorge und beim Zivilgericht kann ein Antrag auf Schuldneranweisung an die zuständige Ausgleichskasse gestellt werden. Von Vorteil dabei ist, dass das Gericht vom Vater im Schuldneranweisungsverfahren verlangen kann, dass er die zuständige Ausgleichskasse bekannt gibt, damit das Gericht die Anweisung anordnen kann.
Sollte der Vater die Familienzulagen noch gar nicht beantragt haben, was sich im Schuldneranweisungsverfahren herausstellen wird, so kann eine Klage beim Zivilgericht eingereicht werden mit dem Begehren, der Vater sei zu verpflichten, die Familienzulagen geltend zu machen.
Selbstverständlich ebenfalls eine Möglichkeit ist eine Betreibung der ausstehenden Familienzulagen, obwohl diese meiner Ansicht nach weniger zielführend als die Schuldneranweisung ist, zumal der Vater Rechtsvorschlag erheben kann und dieser beseitigt werden muss, bevor das Verfahren weiter gehen kann.
Leider keine Lösung dagegen ist, Kinderzulagen für Nichterwerbstätige geltend zu machen, da der Anspruch von erwerbstätigen Personen nach Art. 7 Abs. 1 lit. a FamZG dem Anspruch von nicht erwerbstätigen Personen vorgeht.
Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort weiterhelfen zu können.
Freundliche Grüsse
Anja Loosli Brendebach