Guten Tag
Mein Klient wird im 07.22 62 Jahre alt. Er bezieht seit 09.19 ALTG, seine Rahmenfrist endet per 18.06.2022. Es ist geplant im Mai die Anmeldung für ÜL zu machen. Gemäss meiner Recherche erfüllt er sämtliche Auflagen, mit Vorbehalt, da die Erfahrung fehlt.
Seit Herbst 2021 gesundheitliche Probleme (Bandscheibenvorfall und Lungenkarzinom) woraufhin seit 12.21 zwei Operationen mit stationärem Aufenthalt in Spital und Reha folgten. Dadurch sind seine Krankentaggelder aufgebraucht worden und er musste WSH anmelden.
Es stellt sich uns die Frage, ob es sinnvoll ist eine IV Anmeldung zu machen. Denn er war bereits seit Herbst nur noch 50% AF. Die Probleme mit dem Bandscheibenvorfall ziehen sich weiter hin und es werden weitere Behandlungen notwendig werden. Das Sozialamt möchte, dass eine IV Anmeldung gemacht wird.
Frage 1: Erhält man ÜL auch wenn man bspw. 100% AUF ist? Oder muss man für ÜL ähnlich wie beim RAV/ ALV eine (Teil-) Arbeitsfähigkeit vorweisen können?
(Ich leite diese Frage davon ab, weil ich gesehen habe, dass gemäss Art. 5 ÜLV während des Bezugs von ÜL weiterhin Integrationsbemühungen gefordert werden).
Frage 2: Macht es Sinn, jetzt noch eine IV Anmeldung zu machen? Oder könnte dies gar hinderlich sein für einen positiven ÜL Entscheid?
Besten Dank für eure Rückmeldung.
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Guten Tag.
- Für die Überbrückungsleistungen für ältere Arbeitslose (ÜL) sind Voraussetzungen, dass
- die Person frühestens im Monat, in dem sie ihr 60. Altersjahr erreichen, ausgesteuert wird; die Person mindestens 20 Jahre in der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) der Schweiz versichert war, davon mindestens fünf Jahre nach dem 50. Geburtstag;
- die Person dabei ein Mindesteinkommen von jährlich mindestens 75 Prozent der AHV-Höchstrente (21’510 Franken, Stand 2022) verdient haben oder Erziehungs- und Betreuungsgutschriften aufweisen;
- die Person den Wohnsitz und tatsächlichen Aufenthalt in der Schweiz oder in einem Mitgliedstaat der EU oder EFTA hat;
- die Person anerkannten Ausgaben hat, die ihre anrechenbaren Einnahmen übersteigen (wirtschaftliche Voraussetzung); sowie
- über ein Vermögen von weniger als 50 000 Franken (Alleinstehende) bzw. 100 000 Franken (Ehepaare) verfügt, selbstbewohnte Liegenschaften werden dabei nicht berücksichtigt, hingegen Vorsorgeguthaben der beruflichen Vorsorge, welches einen bestimmten Betrag übersteigt.
Kein Anspruch besteht, wenn die Person vor dem 60. Geburtstag ausgesteuert wurde. Ebenfalls besteht kein Anspruch auf ÜL besteht hingegen bei einem Anspruch auf eine Rente der AHV oder der IV (Art. 5 Abs. 3 UelG), oder bei einem Anspruch auf Ergänzungsleistungen - auch des Ehegatten (Art. 6 UelG).
Ist im Zeitpunkt, wo ein Vorbezug der Altersrente möglich ist (bei Männern derzeit mit 63), absehbar, dass im Zeitpunkt des ordentlichen Rentenalters Ergänzungsleistungen bezogen werden müssen, hört dann der Anspruch auf UeL auf (Art. 3 Abs. 1 lit. b UelG und Art. 1 UelV).
2. Für die Überbrückungsleistungen ist nicht Voraussetzung, dass weiterhin eine Arbeitslosigkeit im Sinne des AVIG besteht. Allerdings führt der Bezug einer IV-Rente dazu, dass der Anspruch entfällt.
Mit Blick auf den Arbeitsmarkt besteht eine verminderte Obliegenheit zur «Integration» (Art. 5 Abs. 5 UelG; Art. 5 UelV). Diese kann aus Gründen der Konformität mit dem Freizügigkeitsabkommen mit der EU/EFTA nicht als Pflicht ausgestaltet sein. Konkret gilt gemäss der für die Durchführungsstellen verbindlichen Verwaltungsweisung (vgl. Wegleitung über die Überbrückungsleistungen für ältere Arbeitslose (WÜL), Rz. 2470.01ff.) folgendes:
- Eine Bezügerin bzw. ein Bezüger von ÜL hat jährlich nachzuweisen, dass sie bzw. er sich um die Integration in den Arbeitsmarkt bemüht.
- Die Integrationsbemühungen sind sehr weit gefasst: Es kann sich um Bewerbungen im üblichen Sinne oder auch um weitergehende Engagements handeln. Diese sollen die Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen oder die Aktivität der Person unterstützen wie beispielsweise: – Freiwilligenarbeit in unterschiedlichsten Sparten (Mithilfe bei (Gross-) anlässen; Umweltschutzgruppen; soziales Engagement u.a.m.) – die Pflege und Betreuung von Angehörigen oder Bekannten – Sprachkurs – Coaching
- Der Nachweis der Integrationsbemühung ist jeweils bei der jährlichen Leistungsanpassung zu erbringen. Er soll die Integration in geeigneter Weise bestätigen. Der Nachweis soll die Art des Engagements ausweisen. Im Falle von Bewerbungen muss die ÜL-beziehende Person angeben, wie viele Bewerbungen sie pro Jahr eingereicht hat.
- Allfällige Kosten, die aus Integrationsbemühungen entstehen, ist von der ÜL-beziehenden Person selber zu tragen.
- Erzielt eine Person ein Erwerbseinkommen, muss sie keinen Nachweis für Integrationsbemühungen erbringen
- Ist es einer Person aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich Integrationsbemühungen zu erbringen und hat sie dafür ein ärztliches Attest, muss sie keine Integrationsbemühungen nachweisen. Falls die Person nicht bereits bei der IV angemeldet ist oder eine ablehnende Verfügung bezüglich Leistungen der IV erhalten hat, ist die Person aufzufordern, sich bei der IV anzumelden.
- Erbringt eine Person keinen Nachweis ihrer Integrationsbemühungen hat dies keine Auswirkungen auf ihre ÜL.
3. Fazit: Für die hier interessierenden Fragen ist davon bedeutsam, dass eine Arbeitslosigkeit im Sinne des AVIG NICHT relevant ist für den Anspruch auf Überbrückungsleistungen
Die Durchführungsstelle können aber eine irgendwie geartete Integrationsbemühung verlangen. Wird diese Integrationsbemühung aber nicht nachgewiesen etc., so kann dies nicht sanktioniert werden.
Ebenso kann in Fällen, wo aus gesundheitlichen Gründen Bemühungen um Integration nicht möglich sind, eine IV-Anmeldung verlangt werden.
Ohne aber, dass deren Verweigerung wohl dazu führen kann, dass die ÜL gekürzt oder gestrichen wird. Dieser letztere Punkt ist aber juristisch nicht ganz eindeutig und dürfte erst durch die Rechtsprechung geklärt werden.
4. Vor dem Hintergrund dieser Regelungen rate ich Ihnen, im vorliegenden Fall, wo eine gesundheitsbedingte Erwerbsunfähigkeit nicht unmöglich erscheint, eine Anmeldung bei der Invalidenversicherung vorzunehmen, um allfällige Leistungen der Versicherung zu prüfen und insoweit keine Verzögerungen zu riskieren. Zumal namentlich eine allfällige IV-Rente frühestens sechs Monate nach der Anmeldung gewährt werden kann.
Ein Besitzstand bzgl. der Leistungen der IV besteht hier aber nicht: Anders als im Verhältnis zur Altersrente ist also nicht relevant, ob die Anmeldung zur IV vor der Anmeldung zur UeL erfolgt.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot