Grüessech mitenand
Mir sind diese Woche zwei Fragen begegnet, die ich nicht auf die schnelle beantworten konnte. Ich habe bei beiden eine Ahnung, weiss jedoch nicht, ob diese korrekt ist und rechtlich schlussendlich auch stimmen.
Die erste Frage betrifft "angeordnete Minusstunden". Mein Klient arbeitet im Schichtbetrieb. Aufgrund des Schichtbetriebes gibt es keine gleitende Arbeitszeiten. Wenn es nicht genügend Arbeit hat, werden die Mitarbeiter früher nach Hause geschickt. Dies nicht gearbeiteten Stunden gehen zu lasten der Plusstunden der Mitarbeiter. Mein Klient ist der Meinung, dass dies nicht korrekt ist. In seinen Augen müssten ihm die komplette Zeit gutgeschrieben werden. Meine persönliches Wissen geht in dieselbe Richtung.
Ich habe angefangen mich zu erkundigen und festgestellt, dass es auch sein könnte, dass der Arbeitgeber die Stunden nicht gutschreiben muss und die Minusstunden bestehen bleiben. Die Plusstunden dürfen trotzdem bezogen werden. Die Minusstunden bleiben jedoch diesselben. Verlässt der Mitarbeiter der Firma werden die angeordneten Minusstunden auf 0 gesetzt und dürfen nicht verrechnet werden.
Gerne möchte ich wissen, wie der korrekte Ablauf ist. Offene Fragen benatworte ich gerne.
Die zweite Frage betrifft einen Arbeitgeber, den ich betreue. Der Arbeitgeber musste einem Mitarbeiter aufgrund von mehreren Mahnungen und auch aufgrund von nicht zufriedenstellender Arbeit kündigen. Der Mitarbeiter ist über 60 Jahre alt. Der Arbeitgeber hat keine Krankentaggeldversicherung. Es besteht jedoch eine Lohnfortzahlungsfrist von 2 Jahren.
Nach der Kündigung hat sich der Mitarbeiter krankschreiben lassen. Der Arbeitgber befürchtet nun, dass er für 2 Jahre Krankentaggeld bezahlen muss und hat sich mit der Frage an uns gewandt, was er tun könnte.
Krankentaggeldversicherungen verlangen i.d.R. in solchen Fällen ein detailliertes Arztzeugnis und leiten teilweise weitergehende Untersuchungen ein. Diese Möglichkeiten habe ich mit dem Arbeitgeber besprochen.
Da jedoch der Arbeitgeber keine Krankentaggeldversicherung hat, war uns unklar, wie das korrekte Vorgehen ist, wenn an einem Arztzeugnis gezweifelt wird. Kann der Arbeitgeber gleich vorgehen, wie die Krankentaggeldversicherung und wenn ja, was muss beachtet werden? Mein Arbeitgeber möchte rechtlich korrekt handeln und in keinen Rechtsstreit geraten.
Bleibt noch zu sagen, dass der Arbeitgeber zwar einen Vertrauensarzt hat. An diesen kann er sich nicht wenden, weil es gleichzeitig der Hausarzt des Mitarbeiters und er fachfremd ist.
Reichen Ihnen die Angaben? Offene Fragen beantworte ich ansonsten gerne.
Freundliche Grüsse
Sarah Dufaux
Frage beantwortet am
Kurt Pärli
Expert*in Arbeitsrecht
Gerne beantworte ich Ihre Fragen.
Zum Thema Minusstunden im Schichtbetrieb:
Wie so oft bei juristischen Fragen lautet meine Antwort zur Ihrer ersten Frage, «es kommt darauf an…». Nun, worauf kommt es an? Es kommt darauf an, wie die Frage der Arbeitszeit im Arbeitsvertrag bzw. im Personalreglement geregelt ist. Auch wäre noch zu prüfen, ob ein allenfalls anwendbarer Gesamtarbeitsvertrag (GAV) bezüglich Arbeitszeit / Schichtbetrieb Regelungen beinhaltet (Ein GAV geht den Bestimmungen eines Einzelarbeitsvertrages vor).
Wenn im Arbeitsvertrag eine bestimmte Stundenzahl pro Woche festgehalten ist, dann muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die entsprechende Arbeit anbieten. Ist der Arbeitgeber dazu nicht in der Lage, so liegt ein Annahmeverzug gemäss Art. 324 OR vor und der Arbeitgeber muss während den nicht gearbeiteten Stunden den vollen Lohn zahlen. Eine Pflicht zur Nachleistung besteht nicht.
Es sind aber auch andere einvernehmliche Regelungen zulässig, etwa ein Jahresarbeitszeitmodel. Hier kann die tägliche und wöchentliche Arbeitszeit über die Einsatzplanung dem Arbeitsvolumen angepasst werden, d.h. die Zeitautonomie liegt beim Arbeitgeber. Auch ein Jahresarbeitszeitmodel bedeutet aber für die Arbeitgeberin nicht grenzenlose (einseitige) Flexibilität. So muss auch bei Jahresarbeitszeit eine Berechnungsperiode festgelegt werden und es ist sinnvollerweise festzuhalten, wie mit Mehr- oder Minusstunden zu verfahren ist. Anerkannt ist, dass Minusstunden, die am Ende der festgelegten Berechnungsperiode oder am Ende eines Arbeitsverhältnisses bestehen, dem Arbeitnehmer nicht vom Lohn abgezogen werden dürfen.
Zu Ihrer zweiten Frage:
Ihre Frage betrifft zwei Themen; zum einen geht es um den Kündigungsschutz bei Krankheit und zum anderen um die Lohnfortzahlungspflicht. Sie erwähnen, dass der Arbeitgeber zwei Jahre den Lohn schulde. Hier fragt sich, wo dies im konkreten Fall verankert ist. Hat sich der Arbeitgeber im Einzelarbeitsvertrag verpflichtet, bei Krankheit zwei Jahre lang den Lohn auszurichten? Oder besteht eine Verpflichtung dafür in einem auf den fraglichen Betrieb anwendbaren GAV? Wäre der Arbeitgeber verpflichtet gewesen, eine Krankentaggeldversicherung abzuschliessen und hat er es nicht gemacht? Und, enthält der Arbeitsvertrag und/oder der GAV eine Bestimmung darüber was gilt, wenn das Arbeitsverhältnis vor Ablauf dieser zwei Jahre beendet wird?
Diese Fragen müssen sie beantworten, bevor ich zur Ihrer Frage abschliessend Stellung nehmen kann.
Vorab lasse ich Ihnen aber bereits einige allgemeine Informationen zukommen.
Thema Kündigungsschutz:
Ihr Klient hat seinem Mitarbeiter in einem Zeitpunkt gekündigt, als dieser nicht arbeitsunfähig war. Demnach ist die Kündigung gültig. Während der Kündigungsfrist wurde nun der fragliche Mitarbeiter arbeitsunfähig. Dies hat zur Folgen, dass der Ablauf der Kündigungsfrist so lange ruht, bis der Arbeitnehmer wieder arbeitsfähig ist oder die Sperrfrist nach Art. 336c Abs. 1 in Verbindung mit Absätzen 2 und 3 abgelaufen ist. Hier kommt es auf die Anzahl Dienstjahre an, das Alter des Arbeitnehmers spielt keine Rolle. Im ersten Dienstjahr beträgt die Sperrfrist 30 Tage, zwischen dem 2. und 5. Dienstjahr 90 Tage und ab 6. Dienstjahr 180 Tage.
Beispiel:
Arbeitnehmer ist im 4. Dienstjahr. Kündigung am 18.12. mit 2monatiger Kündigungsfrist per 28.02.2021. Der Arbeitnehmer ist vom 1.1.2021 an bis auf weiteres arbeitsunfähig.
Im 4. Dienstjahr gilt die 90tägige Sperrfrist. Der Ablauf der Kündigungsfrist wird also vom 1.1.2021 bis zum 31.3.2021 gehemmt, anschliessend wird die noch verbleibende ordentliche Kündigungsfrist hinzugezählt, also noch ein Monat, das Arbeitsverhältnis endet somit am 30.4.2021.
Wichtig ist: Der Arbeitnehmer muss die Arbeitsunfähigkeit beweisen. Das eingereichte Arztzeugnis kann der Arbeitgeber anzweifeln und er kann – auf seine Rechnung – den Arbeitnehmer zu einem Arzt seines Vertrauens schicken (er kann also irgendeinen Arzt wählen). Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, sich dieser Untersuchung zu unterziehen.
Thema Lohnfortzahlung:
Nach Art. 324a OR muss die Arbeitgeberin bei Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers den Lohn für eine gewisse Zeit weiter ausrichten (im ersten Dienstjahr 3 Wochen lang, danach für eine angemessene längere Zeit, wie lange genau entnimmt sich der Berner-, Basler- oder Zürcher-Skala (siehe https://www.trabeco.ch/fileadmin/media/downloads/Mitarbeiter/KMU_Portal_Berner_Skala.pdf )
Nun sieht Art. 324a Abs. 4 OR vor, dass von den Regelungen gemäss Art. 324a Abs. 1-3 OR abgewichen werden kann, wenn die getroffene Lösung für die Arbeitnehmenden insgesamt gleichwertig ist. In der Regel geschieht dies mit Krankentaggeldversicherungen.
Auch bei der Lohnfortzahlung muss der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit beweisen (siehe meine obigen Ausführungen).
Zusammenhang Lohnfortzahlung und Kündigungsschutz:
Es zeigt sich, dass in einem Fall wie dem vorliegenden ein gekündigtes Arbeitsverhältnis bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit zwar verlängert wird, was aber nicht heisst, dass während der ganzen Zeit auch Lohn geschuldet ist. Bei meinem Beispiel:
Arbeitsverhältnis endet Ende April 2021, Lohn ist bei Anwendung der Berner Skala nur bis Ende Februar (also 2 Monate) geschuldet.
Bedeutung für Ihren Fall:
Falls keine gültige Klausel über die Lohnfortzahlung von zwei Jahren besteht, dann gelten die Regelungen des OR, die für ihren Klienten (den Arbeitgeber) günstiger sind.
Wenn jedoch die vertragliche Klausel "2 Jahre Lohnfortzahlung und Abschluss einer Taggeldversicherung" Gültigkeit hat und ihr Klient keine Versicherung abgeschlossen hat, sieht es schlecht aus für ihn. In diesem Fall schuldet er im schlimmesten Fall die ganzen zwei Jahr den Lohn (sofern und soweit der Klient tatsächlich krankheitsbedingt arbeitsunfähig ist, was eine Beweisfrage darstellt, siehe die oberen Ausführungen).
Genügen IHnen diese Auskünfte? Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen
Kurt Pärli