Guten Abend
Gerne bitten wir Sie um eine rechtliche Einschätzung zum folgenden Fall:
- Eine minderjährige Person lebt als Pflegekind bei der Ex-Frau des Vaters. Die Pflegemutter ist gleichzeitig die ehemalige Stiefmutter, es besteht also kein Verwandtschaftsverhältnis.
- Gemäss Pflegevertrag hat der Vater nach wie vor die elterliche Sorge.
- Es besteht eine Beistandschaft gestützt auf Art. 308 Abs. 2 ZGB.
- Gemäss Entscheid der KESB wurde die Beiständin unter anderem beauftragt:
- einen Pflegevertrag zu erstellen und der KESB gemäss Art. 416 Abs. 1 Ziff. 2 ZGB zur Genehmigung vorzulegen;
- XY zu motivieren, wieder Kontakt zum Vater aufzunehmen;
- die Kommunikations- und Absprachefähigkeit der (Pflege-)Eltern zu stärken;
- die Verlängerung von Reisepass und Aufenthaltsbewilligung zu beantragen sowie alle nötigen Erklärungen gegenüber Behörden abzugeben.
Der Pflegevertrag liegt inzwischen vor. Darin ist geregelt, dass die Pflegemutter dem Vater die vorgeschossenen Kosten in Rechnung stellen kann. Sollte dieser nicht bezahlen, tritt eine subsidiäre Kostengutsprache der Gemeinde X in Kraft. Die Pflegemutter kann sich in diesem Fall an die Gemeinde wenden, welche wiederum berechtigt ist, den Betrag beim Vater zurückzufordern.
Auf Antrag der Beiständin zur Genehmigung des Pflegevertrags teilte die KESB folgendes mit:
Mit dem Entscheid vom DD.MM.JJJJ wurde XY unter Aufhebung des Aufenthaltsbestimmungsrechts des Vaters gemäss Art. 310 Abs. 2 ZGB bei XZ (Pflegmutter) untergebracht. Der Pflegevertrag sei nicht separat genehmigungsbedürftig, da mit dem Entscheid zur Unterbringung auch die Eignung des Pflegeorts geprüft worden sei.
Der Vater verweigert nun jegliche Zahlungen an die Pflegemutter und geht rechtlich gegen sämtliche Massnahmen vor, die gegen seinen Willen getroffen werden. Gemäss Auskunft der Beiständin und der Pflegmutter wäre er in der finanziell Lage, die Zahlungen vorzunehmen.
Die Beiständin hat uns gebeten, dem Pflegekind resp. der Pflegemutter, gestützt auf den Pflegevertrag und das Luzerner Handbuch zur Sozialhilfe, wirtschaftliche Hilfe auszubezahlen.
Unsere zentrale Frage lautet:
Ist die Beiständin aufgrund des Entscheids und ihres Mandats berechtigt, für XY einen Antrag auf wirtschaftliche Sozialhilfe zu stellen, auch wenn sie keine ausdrückliche Befugnis für finanzielle Angelegenheiten hat?
Weitere offene Fragen:
- Reicht der Pflegevertrag als Grundlage, um WSH auszurichten?
- Ist es relevant, dass der Pflegevertrag nicht ausdrücklich von der KESB genehmigt wurde?
- Ist für die Auszahlung von WSH zwingend die Zustimmung (Unterschrift) des Vaters erforderlich, da er weiterhin die elterliche Sorge besitzt? Gibt es andere Möglichkeiten, damit Gelder rechtlich korrekt ausbezahlt und anschliessend beim Kindsvater zurückgefordert werden können?
Aus unserer Sicht müsste mit der aktuellen Rechtslage die Beiständin von der KESB explizit die Befugnis für finanzielle Angelegenheiten erhalten oder der Vater müsste dem Gesuch um WSH zustimmen.
Wir möchten der Pflegemutter möglichst rasch die notwendige Unterstützung zukommen lassen und danken Ihnen im Voraus für Ihre zeitnahe rechtliche Einschätzung.
Falls Sie für die Einschätzung weitere Unterlagen / Informationen benötigen, dürfen Sie sich gerne bei uns melden.
Besten Dank für Ihre Bemühungen.
Freundliche Grüsse
Frage beantwortet am
Anja Loosli Brendebach
Expert*in Sozialhilferecht
Guten Tag
Ich bedanke mich für Ihre Frage, die ich gerne folgendermassen beantworte:
In einem ersten Schritt bin ich der Frage nachgegangen, ob die Beiständin das minderjährige Kind vorliegend rechtlich zum Bezug von Sozialhilfe anmelden darf. Die Antwort auf diese Frage hängt von der konkreten Beistandschaft ab. Eine Beistandschaft gestützt auf Art. 308 Abs. 1 und 2 ZGB beinhaltet die Unterstützung der Eltern in Form von Rat und Tat. Liegt ausschliesslich eine solche vor, erscheint die Anmeldung des minderjährigen Kindes durch die Beiständin bei der Sozialhilfe ohne Einverständnis der sorgeberechtigten Eltern nicht möglich zu sein. Dem Beistand können aber nach Art. 308 Abs. 2 ZGB besondere Befugnisse übertragen werden, namentlich die Vertretung des Kindes bei der Wahrung von Rechten. Vorliegend sind der Beiständin nach Abs. 2 besondere Rechte übertragen worden. Allerdings entsteht der Eindruck, dass ihr die Befugnis der Wahrung von Rechten – wie z.B. der Geltendmachung von Sozialhilfeleistungen – nicht übertragen worden ist. Eine abschliessende Beurteilung erscheint mir aber nicht möglich zu sein, da ich die Ernennungsurkunde nicht gesehen habe. Zudem erscheint es mir sinnvoll, diese Frage den Experten im Kindes- und Erwachsenenschutz von sozialinfo zu stellen. Ich verweise Sie für eine vertiefte Beurteilung deshalb an diese.
Ergänzend dies: Es soll nicht sein, dass der Bedarf eines bedürftigen fremdplatzierten Kindes nicht gedeckt ist, weil die sorgerechtsberechtigten Eltern oder das sorgerechtsberechtigte Elternteil die Anmeldung bei der Sozialhilfe nicht vornehmen. Wird dadurch das Kindeswohl gefährdet, hat die KESB die Möglichkeit, die Aufgaben der Beiständin allenfalls auf die Wahrung von Rechten zu erweitern. Sollte der Vater nicht bereit sein, seinen Unterhaltspflichten gegenüber dem Kind vollumfänglich nachzukommen oder das Kind bei der Sozialhilfe anzumelden, erscheint es meiner Ansicht nach deshalb sinnvoll, dass die Beiständin bei der KESB weitere besondere Befugnisse beantragt.
In einem zweiten Schritt bin ich den weiteren Fragen nachgegangen. Sie schreiben, dass die Pflegemutter dem Vater gemäss Pflegevertrag die vorgeschossenen Kosten in Rechnung stellen könne. Unklar ist für mich, welche Kosten damit gemeint sind. Einerseits könnten die Fremdplatzierungskosten bzw. die Kostenbeteiligung bei einer Fremdplatzierung gemeint sein. Diesbezüglich dürfte es aber nicht zu ausstehenden Kosten kommen, denn diese Kosten werden vom Kanton und den Gemeinden finanziert. Die Kostenbeteiligung der Eltern nach Art. 31 SEG LU sollte über die anordnende Behörde bezahlt werden, wenn sie die Eltern nicht direkt bezahlen. Diese Behörde kann dann nach Art. 31 SEG LU die Erstattung von der unterstützungspflichtigen Gemeinde und diese kann die von ihr erbrachten Zahlungen von den Eltern zurückverlangen, wenn diese leistungsfähig sind. Allerdings handelt es sich auch hier um eine Frage des Kindesschutzes, weshalb ich Ihnen empfehle, auch diese Frage bei sozialinfo im Bereich Kindes- und Erwachsenenschutz zu stellen.
Meinen Sie mit den bevorschussten Kosten die Nebenkosten der Fremdplatzierung wie Auslagen für die Krankenkassenprämien oder andere Gesundheitskosten, Versicherungen, Kleider und Taschengeld, so werden diese nicht über das SEG finanziert. Diese Auslagen sind vollumfänglich von den Unterhaltspflichtigen zu tragen. Weigern sich die Eltern bzw. die Unterhaltspflichtigen, die Kosten zu tragen oder sind sie dazu finanziell nicht in der Lage, so ist zu prüfen, ob das Kind sozialhilferechtlich bedürftig ist. Die Bedürftigkeit ist nach SKOS-RL C.2 zu ermitteln. Ist das Kind bedürftig, übernimmt die Sozialhilfe die aktuellen Kosten für den Grundbedarf, Wohnkosten, Gesundheitskosten und situationsbedingte Leistungen, soweit sie nicht durch das Pflegegeld gedeckt sind. Anspruchsberechtigt ist in diesem Fall das Kind und nicht die Pflegemutter, da es sich um den Bedarf des Kindes handelt. Dafür braucht es aber – wie oben ausgeführt – einen Antrag.
Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort helfen zu können und ich hoffe, dass Ihnen die Expertinnen des Bereichs Kindes- und Erwachsenenschutz noch vertiefter helfen können.
Freundliche Grüsse