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Anfrage des Arbeitgebers um Reduzierung des Arbeitspensums aus gesundheitlichen Gründen

Veröffentlicht:
02.03.2017
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Arbeitsrecht

Sehr geehrter Herr Pärli
Bei der Pro Infirmis hat sich eine Frau gemeldet, welche seit Geburt eine Cerebraleparese mit linkseitiger Einschränkung hat.
Die Frau hat eine IV-gestützte Ausbildung als Pflegeassistentin abgeschlossen. Anschliessend hat sie 11 Jahre zu 100% im Spital gearbeitet. Im Jahr 2002 hat sie das Arbeitspensum aus gesundheitlichen Gründen auf eigenen Wunsch hin, auf 80% reduziert und weiterhin im selben Spital gearbeitet.
Im Sommer 2016 ist ihre Vorgesetzte auf sie zu gekommen und hat angefragt, ob es sinnvoll wäre, wenn die Frau das Arbeitspensum von 80% auf 70 % reduzieren würde. Begründung: Die Vorgesetzte hatte den Eindruck, dass wenn die Frau 3 – 4 Tage hintereinander arbeitet habe, schnell ermüde.
Die Frau hat sich das Angebot überlegt und anschliessend im Sept. 2016 eine Vertragsmutation gültig ab 01.11.2016 (Reduktion des Arbeitspensums von 80% auf 70%) unterzeichnet.
Die Frau arbeitet gerne im Spital und möchte auch weiterhin als Pflegeassistentin arbeiten.
Der Hausarzt prognostiziert aufgrund der Diagnosen, dass längerfristig wohl eine weitere Reduktion des Arbeitspensums, auf 60 oder gar 50% nötig sei.
Per Ende Dez. 2016 hat sich die Frau wieder bei der IV zur Früherfassung angemeldet und im Januar 2017 erfolgte die Anmeldung für Berufliche Massnahmen /IV-Renten.
Meine Fragen:

  • Ist dieses Vorgehen vom Arbeitgeber, betreffend der Reduktion des Arbeitspensums korrekt? Die Frau hat nun Lohneinbussen, welche nicht anderweitig gedeckt werden.
  • Hätte hier die Frau allenfalls Anspruch auf Krankentaggelder gehabt?
    Bzw. Kann die Frau gegen dieses Vorgehen noch etwas unternehmen? Oder ist es zu spät, da sie die Vertragsmutation bereits im Sept. 2016 unterzeichnet hat.
  • Da ein IV-Verfahren (Anmeldung Früherfassungsanmeldung im Dez. 2016 / IV-Rentenanmeldung im Jan. 2017) pendent ist, müsste in diesem Zusammenhang auch wegen dem BVG – Rentenanspruch geprüft werden, ob das Vorgehen betreffend Reduktion des Arbeitspensums korrekt war. Bzw. wenn ein BVG-Rentenanspruch bestehen würde, dass auf das 80% Arbeitspensum Pensum abgestützt würde? Muss dazu ein Schreiben an die Pensionskasse erfolgen durch den Arbeitgeber?
  • Gibt es in Bezug auf die BVG weitere Punkte zu beachten?
    Herzlichen Dank für Ihre Rückmeldung
    Freundliche Grüsse
    G. Imoberdorf

Frage beantwortet am

Kurt Pärli

Expert*in Arbeitsrecht

Sehr geehre Frau Imoberdorf
Entschuldigen Sie vorab die lange Bearbeitungszeit, die letzten Tage und Wochen waren etwas turbulent.
Der durch Sie geschilderte Fall illustriert sehr anschaulich die Problematik der freiwilligen Reduktion des Beschäftigungsgrades, da Sozialversicherungsleistungen, namentlich Krankentaggelder, auf dem vor dem Eintritt des versicherten Ereignisses versicherten Lohnes basieren. Eine Reduktion des Beschäftigungsgrades und damit eingehend eine Reduktion des Lohne wirkt sich so ohne Weiteres auf die Höhe des Krankentaggeldes aus. Ebenfalls dramatisch sind die Auswirkungen hinsichtlich einer allfälligen IV-Rente und IV-Rente der Pensionskasse. Warum? Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts wird eine IV_Rente bei einer Person, die teilzeit erwerbstätig ist und neben ihrer Berufstätigkeit in keinem anerkannten Aufgabenbereich wie bsw. Haushalt/Kinder tätig ist, proportional zum Beschäftigungsgrad berechnet, d.h., wer 80 oder 70% arbeitetet und z.B. 50% in seiner Erwerbsfähigkeit eingeschränkt ist, hat lediglich einen Invaliditätsgrad von 40 bzw. 35%. Auch die Pensionskassen nehmen grundsätzlich auf den IV-Grad der IV Bezug.
Was bedeutet dies nun für den Fall ihrer Klientin? Aus vertragsrechtlicher Sicht sind die beiden Reduktionen von 100% auf 80% und später von 80% auf 70% wohl kaum zu beanstanden, da Ihre Klientin die erste Reduktion aus eigenem Antrieb vorgenommen hat und die zweite Reduktion wohl einvernehmlich zustande kam. Allenfalls könnte man die zweite Reduktion als eine Androhung einer Änderungskündigung qualifizieren und gestützt darauf könnte die Vertragsänderung als unzulässig qualifiziert werden. Die Hürden für eine solche Klage sind aber extrem hoch, ich sehe da wenig Chancen auf Erfolg.
Wichtig scheint mir aber jetzt v.a. zu sein ,dass Ihre Klientin nicht nochmals einer Pensenreduktion zustimmt, d.h. sollte eine weitere Abnahme der Arbeitsfähigkeit eintreten,ist mit der Arbeitgeberin die Lohnfortzahlung ggf. über die Krankentaggeldversicherung zu klären.
Zur IV-Abklärung: Gegenüber der IV soll auf jeden Fall der STandpunkt eingenommen werden, dass ohne gesundheitliche Schädigung im vorliegenden Fall 100% gearbeitet würde, auf diese Weise lässt sich ggf. die Teilzeitfalle (siehe oben) vermeiden. Gleiches gilt gegenüber der Pensionskasse, auch hier muss argumentiert werden, im Gesundheitsfall würde Ihre Klientin 100% arbeiten. Idealerweise bestätigt die Arbeitgeberin sowohl die Reduktion von 100% auf 80% als auch jene von 80% auf 70% als "aus gesundheitlichen Gründen" erfolgt.
Genügen Ihnen diese Auskünfte?
Mit Dank für die Kenntnisnahme und besten Grüssen
Kurt Pärli

Sehr geehrter Herr Pärli
Herzlichen Dank für Ihre ausführlichen Rückmeldungen. Diese helfen sehr weiter und geben gute Ansätze für die nächsten Schritte. Freundliche Grüsse
G. Imoberdorf