Zum Inhalt oder zum Footer

Anfrage betr. Alimentenbevorschussung

Veröffentlicht:
04.07.2017
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Wir haben ein Gesuch um ABV von einer Frau mit einem Kind erhalten. In der Zeit von März 2009 bis Mai 2012 hat diese Frau bei uns bereits ABV bezogen. Anlässlich der jährlichen Überprüfung im Mai 2012, haben wir bemerkt, dass diese Frau seit einiger Zeit die gesetzliche Einkommenslimite überschritten hat. Daraufhin haben wir die ABV per sofort eingestellt und auf eine Rückforderung der zuviel bevorschussten Kinderalimente vorläufig verzichtet (siehe Schreiben vom 13.06.2012).
Wir haben diese Frau jedoch darauf aufmerksam gemacht, bei einer erneuten Bevorschussung der Unterhaltsbeiträge geprüft werden muss, ob eine teilweise Einberechnung der zuviel ausbezahlten ABV angezeigt ist.
Nun meine Frage:
Unser Schreiben ist vom Juni 2012, also bereits 5 Jahre her. Können wir diese zuviel bezahlten ABV noch geltend machen oder sind diese bereits verjährt?
Laut Steuerveranlagung 2015 hat diese Frau ein STEK von CHF 51100.00 und RM CHF 6654.00 – Gemäss aktueller Berechnung STEK 34‘843.00
Wenn wir die Beträge teilweise noch geltend machen können, was für einen Betrag wäre ca. berechtigt zurückzufordern?
Ihrer Antwort sehe ich mit grossem Interesse entgegen und danke Ihnen bereits jetzt vielmals dafür.

Frage beantwortet am

Ruth Schnyder

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrte Frau Erni
Gerne beantworte ich Ihre Anfrage. Ihre Frage beschlägt im Wesentlichen die Verjährungsthematik bei Rückerstattungsansprüchen. Ihren Ausführungen und dem mit separater E-Mail beigelegten Schreiben zufolge haben Sie im Jahr 2012 einen unrechtmässigen Bezug von Alimentenbevorschussungen festgestellt. Laut dem im 2012 an die Mutter als gesetzliche Vertreterin des Kindes gerichteten Schreiben haben Sie auf die sofortige Geltendmachung verzichtet. Jedoch haben Sie sich ausdrücklich vorbehalten, die zu Unrecht bezogenen Leistungen mit allfälligen künftigen Alimentenbevorschussungen zu verrechnen. Nun liegt erneut ein Gesuch um Alimentenbevorschussung vor, und es stellt sich die Frage der Zulässigkeit der Verrechnung.
Im SHG LU fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage zur Verrechnung von Alimentenbevorschussungen mit Rückerstattungsforderungen. Anders verhält es sich bei Sozialhilfeleistungen, da sieht das SHG LU in § 40 Abs. 3 die Verrechnung ausdrücklich vor. Ob damit die Verrechnung, welche ein ungeschriebener verwaltungsrechtlicher Rechtsgrundsatz darstellt, für die Alimentenbevorschussung ausgeschlossen sein soll, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden, ist aber wohl eher zu verneinen. Für eine abschliessende Antwort müsste man jedoch die Materialien zum SHG LU konsultieren.
Der allgemeine Rechtsgrundsatz der Zulässigkeit der Verrechnung im Verwaltungsrecht stützt sich auf das Obligationenrecht vom 30. März 1911 (OR) und wendet Art. 120 ff. OR sinngemäss an (vgl. zum Ganzen Felix Frey, § 9 Abwicklungen der Zahlungen, in: Recht der Sozialen Sicherheit, Handbücher für die Anwaltspraxis, Band XI, Hrsg. Sabine Steiger-Sackmann und Hans-Jakob Mosimann, Basel, 2014, Rz. 9.27 ff.).
Vorausgesetzt ist Folgendes:

  • Leistung und Verrechnungsforderung sind konnex
  • Die Forderung ist fällig und nicht verjährt
    Mit der Konnexität ist gemeint, dass es sich beim Schuldner einer Rückforderung und dem Empfänger der Leistung, mit welcher verrechnet werden soll, um dieselbe Person handelt. Dasselbe gilt auch für den Gläubiger. Es braucht also eine Personenidentität in Bezug auf Gläubiger und Schuldner, und zwar bei beiden Forderungen, die sich bei der Verrechnung gegenüber stehen. Im vorliegenden Fall handelt es sich um dieselbe Einwohnergemeinde. Es ist aber auch notwendig, dass es sich um dasselbe Kind handelt, wofür erneut Bevorschussung verlangt wird, welches auch für den unrechtmässigen Bezug rückerstattungspflichtig ist. Es kommt also nicht auf den Elternteil an. Denn laut § 49 Abs. 2 Sozialhilfegesetz vom 16. März 2015 des Kantons Luzern (SHG LU) ist das Kind, das unrechtmässig Vorschüsse erhalten hat, rückerstattungspflichtig ist. D.h. es ist Schuldner der Rückforderung - was aus Sicht des Kindeswohls etwas fragwürdig erscheint. Es ist aber auch das (unterhaltsberechtigte) Kind, das den grundsätzlichen Anspruch auf Bevorschussung gegenüber der Einwohnergemeinde besitzt (§ 44 SHG LU). D.h. betrifft das neue Gesuch ein anderes Kind, wäre eine Verrechnung von Vornherein ausgeschlossen, da Schuldner der Rückforderung und Gläubiger der erneuten Alimentenbevorschussung nicht identisch sind. Im Sozialversicherungsrecht ist die Rechtsprechung in dieser Frage etwas grosszügiger und verlangt anstelle der Identität lediglich eine enge Beziehung (siehe Felix Frey, Rz. 9.31 ff., a.a.O.). Aus meiner Sicht rechtfertigt es nicht ohne weiteres, diese Rechtsprechung im Kontext der Alimentenbevorschussung anzuwenden, zumal die enge Beziehung vorwiegend bei Ehegatten bejaht wurde. D.h. die Verrechnung ist vorliegend nur zulässig, wenn es sich um dasselbe Kind handelt, das für die fragliche Rückerstattung einstehen muss und nun erneut Alimentenbevorschussung beantragt.
    In Bezug auf die zu verrechnende Forderung ist weiter vorausgesetzt, dass diese rechtlich noch durchsetzbar ist, was nicht der Fall wäre, wenn sie verjährt oder verwirkt wäre. Zur Frage, wie lange eine Rückerstattungsforderung geltend gemacht werden kann, äussert sich § 51 SHG LU unter dem Titel der Verwirkung. Dieser lautet wie folgt:
    1 Der Anspruch auf Rückerstattung der bevorschussten Unterhaltsbeiträge erlischt, wenn er nicht innert drei Jahren seit Kenntnis von der anspruchsberechtigten Einwohnergemeinde geltend gemacht wird, jedoch spätestens zehn Jahre nachdem der Unterhaltsbeitrag letztmals bevorschusst wurde. Wird der Rückerstattungsanspruch aus einer strafbaren Handlung hergeleitet, für welche das Strafrecht eine längere Verjährungsfrist vorsieht, gilt diese als absolute Verwirkungsfrist.
    2 Die anspruchsberechtigte Einwohnergemeinde hat Kenntnis vom Rückerstattungsanspruch, sobald ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin des Sozialdienstes oder ein Mitglied der Sozialbehörde in Ausübung amtlicher Verrichtungen von den Voraussetzungen des Rückerstattungsanspruchs Kenntnis erhalten hat.
    Wendet man diese Bestimmung auf Ihren Fall an, haben Sie im 2012 Kenntnis vom Rückerstattungsanspruch erhalten, genau genommen mit den Unterlagen des Arbeitgebers, d.h. am 25. Mai 2012. Damit hätten Sie bis 25. Mai 2015 Zeit gehabt, den Rückerstattungsanspruch geltend zu machen. Da Sie den Rückerstattungsanspruch während dieser Zeit nicht geltend gemacht haben, ist er nun verwirkt. D.h. der Anspruch ist untergegangen und steht infolgedessen auch nicht mehr für die Verrechnung mit künftigen Leistungen offen. An diesem Ergebnis ändert auch das Schreiben vom 13. Juni 2012 nichts, hat die Gemeinde damit doch ausdrücklich auf die Rückforderung verzichtet. Der Vorbehalt der künftigen Verrechnung kann die Verwirkung meines Erachtens nicht hemmen.
    Bei diesem Ergebnis kann offen gelassen werden, ob das Gesetz überhaupt ein einstweiliger Verzicht zulässt. Dem Wortlaut von § 49 Abs. 2 SHG LU lässt sich eine solche Handhabung nicht ohne weiteres entnehmen.
    Zu einem anderen Ergebnis käme man, wenn der Rückerstattungsanspruch aus einer strafbaren Handlung entstanden worden wäre, da käme z.B. bei Erfüllen von Art. 148a des Schweizerischen Strafgesetzbuches vom 21. Dezember 1037 (StGB; unrechtmässiger Bezug einer Leistung einer Sozialversicherung oder Sozialhilfe) eine Verjährungsfrist von 7 Jahren und beim Betrug gemäss Art. 146 StGB eine solche von 15 Jahren zum Zuge (Art. 197 StGB; relevant ist das erstinstanzliche Urteil). Da der Rückerstattungsanspruch nach § 49 SHG LU gegen das Kind geht, wäre der strafrechtliche Tatbestand durch das Kind zu erfüllen, was im Regelfall nicht gegeben ist, da u.a. wohl häufig die Eltern den unrechtmässigen Bezug zu vertreten haben. So auch im vorliegend Fall, wie in Ihrem Schreiben vom 13.6.12 dargelegt. D.h. eine Verlängerung der Verjährungsfrist über das Strafrecht wäre vorliegend zu verneinen.
    Folgt man der Verwirkungsfrist von 3 Jahren, kann die Rückforderung nicht mehr geltend gemacht werden, da sie verwirkt ist. Damit ist die Verrechnung entsprechend der oben dargelegten Voraussetzungen im vorliegenden Fall nicht zulässig. Dennoch ein Wort zum Verrechnungsumfang: Bei einer Verrechnung von Alimentenbevorschussungen ist meiner Meinung nach erforderlich, dass das betreibungsrechtliche Existenzminimum gewahrt wird, so wie es in der sozialversicherungsrechtlichen Rechtsprechung (vgl. Urteil des Bundesgerichts 9C_372/2010 vom 13.9.10 Erw. 3.1) vorgespurt wurde, andernfalls Art. 125 Ziff. 2 OR und Art. 93 des Bundesgesetzes vom 11. April 1989 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG; beschränkt pfändbares Einkommen, wozu u.a. Unterhaltsbeiträge und somit wohl auch Bevorschussungen derselben gehören) verletzt würden.
    Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort gedient zu haben.
    Freundliche Grüsse, Ruth Schnyder