Guten Tag
neu habe ich eine Klientin / Mitarbeiterin (etwas über 50jährig, mit jahrzehntelanger Berufserfahrung auf ihrem Beruf als Sozialpädagogin) in Beratung, deren Situation sich so darstellt:
Seit 14.5.18 arbeitet sie in einer Institution für Menschen mit schweren Beeinträchtigungen als Sozialpädagogin, BG 80%. Im Februar 2019 erlitt sie während der Betreuung / Pflege einer Bewohnerin einen gesundheitlichen Schaden (schliessliche Diagnose "frozen shoulder". Sie hat zwar eine vorbestehende Rückenproblematik, das Ereignis während der Arbeit war aber hauptsächlich ursächlich für die aktuelle gesundheitliche Problematik. Das Ereignis wurde nicht als Unfall sondern als Krankheit qualifiziert.). Die Mitarbeiterin fiel in der Folge krankheitsbedingt aus. D.h. zuerst wurde das ärztliche Zeugnis 100% AUF (ausgestellt vom Hausarzt) von der Vorgesetzen nicht akzeptiert mit dem Kommentar "mit einer solchen Einschränkung könne man sehr wohl arbeiten". Die Mitarbeiterin bat daraufhin ihren Hausarzt, sie wieder 100% gesund zu schreiben und ihr zu erlauben, ihre Arbeit fortzusetzen. Dies mit dem Ergebnis, dass sie nach gut 2 Wochen mit akuten Schmerzen zum Spezialisten überwiesen wurde, der sie sofort 100% AUF schrieb, verbot, zu arbeiten und sich auch klar äusserte, dass die Arbeit in den Wochen nach dem Ereignis unverantwortlich war.
Die Erkrankung verbessert(e) sich langsam, mittlerweile arbeitet die MA wieder 50%.
Am 8.8.19 wurde ihr eine Änderungskündigung vorgelegt mit massiver Rückstufung (Rückgang betr. Gehalt CHF -1'370.50!). Begründet wird die Änderungskündigung damit, dass man sich aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation gezwungen sieht, das bestehende Arbeitsverhältnis zu künden (explizit schriftlich so formuliert). Ergänzend ist zu erwähnen, dass ein Case Manager der zuständigen Krankentaggeldversicherung involviert ist und bis heute weder eine Meldung FE / FI noch eine Anmeldung bei der IV thematisiert oder sogar gemacht wurde.
Von ihrer Vorgesetzten hat die MA mündlich die Begründung betr. der vorgelegten Änderungskündigung erhalten, sie genüge den Anforderungen der Stelle nicht (Leistungsthematik). In der Zeit vom 14.5.18 bis heute hatte die MA lediglich das Probezeitgespräch nach knapp 3 Monaten. Dieses fiel weitgehend sehr gut aus (Dokument liegt vor). Eine weiteres, ordentliches Mitarbeitenden- / Qualigespräch gab es bislang nicht. Ein Leistungsdialog hat bis dato ebenfalls nie stattgefunden. Die Mitarbeiterin sagt, ihre Vorgesetzte habe ihr einzig in einer Situation gesagt, "sie reiche nicht".
Die Mitarbeiterin hat sich entschieden, die Änderungskündigung nicht anzunehmen. Dies aus div. Gründen, vornehmlich aber da das neue, viel tiefere Gehalt mit einem BG von 80% nicht oder nur noch sehr knapp existenzsichernd wäre.
Bevor wir das Gespräch mit dem Betrieb (und mit der Taggeldversicherung) suchen, wäre ich froh um Ihre Einschätzung der geschilderten Situation aus arbeitsrechtlicher Sicht.
Mit bestem Dank bereits und spätsommerlichen Grüssen
Carole Lauper
Beraterin / MSc in Sozialer Arbeit
Movis AG Bern
Frage beantwortet am
Kurt Pärli
Expert*in Arbeitsrecht
liebe Frau Lauper
gerne beantworte ich Ihre Frage. Gemäss Sachverhalt erlitt ihre Klientin bei der Ausübung ihrer Arbeit einen GEsundheitsschaden. Dieser wurde offensichtlich vom zuständigen Unfallversicherer nicht als Unfall anerkannt (nehme an, es gab an eine Unfallmeldung). Unabhängig ob Unfall oder nicht ist in einer solchen Situation die Verantwortung der ARbeitgeberin für den Gesundheitsschaden zu prüfen (Art. 328 Abs. 1 und 2 OR, ARt. 6 Arbeitsgesetz ArG und Verordnung 3 zum Arbeitsgesetz und Weisungen des seco) Zu prüfen ist: hat die Arbeitgeberin alle ihr zumutbaren Massnahmen getroffen, damit der Gesundheitsschaden hätte vermieden werden können? Konkret kann das heissen: Gibt es in der fraglichen Institution Regeln zum Umgang mit gesundheitlichen BElastungen, die sich aus der Arbeit mit Schwerbehinderten ergeben (psychische und physische Belastungen)? Wie werden diese Regelungen angewendet?
Es ist für den weiteren Verlauf sehr wichtig, dass die Umstände des Vorlaufs rekapituliert und die von mir aufgeworfenen Fragen geklärt werden. Falls nämlich für den Gesundheitsschaden eine auch nur minimale Mitverantwortung des ARbeitgebers besteht, hat dies für die Beurteilung der Zulässigkeit der Änderungskündigung erhebliche Folgen.
Sie erwähnen weiter: "... zuerst wurde das ärztliche Zeugnis 100% AUF (ausgestellt vom Hausarzt) von der Vorgesetzen nicht akzeptiert mit dem Kommentar "mit einer solchen Einschränkung könne man sehr wohl arbeiten". Die Mitarbeiterin bat daraufhin ihren Hausarzt, sie wieder 100% gesund zu schreiben und ihr zu erlauben, ihre Arbeit fortzusetzen. Dies mit dem Ergebnis, dass sie nach gut 2 Wochen mit akuten Schmerzen zum Spezialisten überwiesen wurde, der sie sofort 100% AUF schrieb, verbot, zu arbeiten und sich auch klar äusserte, dass die Arbeit in den Wochen nach dem Ereignis unverantwortlich war."
Auch diese Vorkommnisse sind im Lichte von ARt. 328 Abs. 1 und 2 OR sowie Art. 6 ArG und ArGV 3 plus seco-Weisungen zu beurteilen. Möglicherweise liegt auch hier eine Verletzung der Fürsorgepflicht der Arbeitgeberin vor, die zu einer Vergrösserung des Gesundheitsschadens führte.
Falls die Arbeitgeberin ihre Pflichten verletzt hat und so zum Gesundheitsschaden bzw. zu dessen Verschlimmerung beigetragen hat, dann ist es rechtsmissbräuchlich, wenn sie (die Arbeitgeberin) die Folgen dieser Pflichtverletzung (die reduzierte Arbeitsfähigkeit) einfach auf die ARbeitnehmerin überträgt. Wenn ihre Klientin die Änderungen im Vertrag nicht akzeptieren und daraufhin die Kündigung erhalten würde, wäre dies wohl eine missbräuchlche Änderungskündigung und die Arbeitgeberin müsste eine Pönalentschädigung von maximal sechs Monatslöhnen leisten. Die Kündigung wäre aber nichtsdestotrotz gültig, denn in der Schweiz bsteht auch in solchen Fällen kein absoluter Kündigungsschutz. Vor diesem Hintergrund würde ich - nach KLärung der Sachlage (siehe oben) gegenüber der Arbeitgeberin deren Pflichtverletzungen geltend machen und versuchen, die Anpassung des Arbeitsvertrages im Sinne eines Kompromisses für IHre Klientin erträglicher zu gestalten.
Genügen IHnen diese Auskünfte?
Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen
Kurt Pärli