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Alterskündigung

Veröffentlicht:
15.10.2021
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Arbeitsrecht

Guten Tag

Im Kontext Betriebliche Sozialarbeit wurde ich mit einem Grobkonzept für mögliche Lösungsvorschläge für ältere und gesundheitlich angeschlagene (nicht unbedingt krankgeschriebene) Mitarbeitende beauftragt. Ich suche aktuell noch nach einer passenden Definition für die Zielgruppe und habe mir dabei überlegt, die Rechtssprechung i.S. Alterskündigung in meine Überlegungen mit einfliessen zu lassen. 

Können Sie mir sagen, was in der Rechtssprechung für Bedingungen vorliegen müssen, ab welchem Alter bzw. unter welchen sonstigen Bedingungen (ev. Dienstalterzugehörigkeit etc. ?) man von einer Alterskündigung spricht? Und: Was bedeutet 'mehr Zeit/Aufwand' für die Suche nach betriebsinternen Alternativen in der heutigen Rechtssprechung?

Merci vielmals für Ihre Einschätzung und freundliche Grüsse

Frage beantwortet am

Kurt Pärli

Expert*in Arbeitsrecht

Sehr geehrte Frau Rei

Vielen Dank für Ihre Anfrage.

Nach jüngerer Praxis des Bundesgerichts hat die Arbeitgeberin gegenüber älteren Arbeitnehmenden, die zugleich längere Zeit im Betrieb gearbeitet haben, eine erhöhte Fürsorgepflicht. Wegweisend entschied das Bundesgericht in BGE 132 III 115, E. 5.3: «Hinzu kommt, dass gegenüber einem Arbeitnehmer, der sein gesamtes Arbeitsleben (vorliegend 44 Jahre) im Wesentlichen klaglos für eine einzige Arbeitgeberin tätig war, eine erhöhte Fürsorgepflicht gilt. Dazu gehört die Sorge dafür, einem wenige Monate vor der ordentlichen Pensionierung stehenden Arbeitnehmer zu ermöglichen, seine Arbeitstätigkeit ohne finanzielle Einbussen zu beenden, sofern nicht gewichtige Gründe nach einer anderen Beendigung des Arbeitsverhältnisses rufen.» Als verletzt erachtete das Bundesgericht in diesem Fall auch das Gebot schonender Rechtausübung.Weiter lag die Rechtsmissbräuchlichkeit der Kündigung auch aufgrund des offenkundigen, krassen Missverhältnisses der auf dem Spiel stehenden Interessen vor. Dem Kläger dürfte es angesichts seines Alters kaum gelingen, eine andere Anstellung zu finden und er müsse mit Einbussen bei den Einkommensersatzleistungen rechnen. Dieses Interesse würde die Interessen der Arbeitgeberin bei Weitem übersteigen.

Die in Art. 336 OR aufgeführte Liste der Missbrauchsgründe ist nicht abschliessend.

Das Bundesgericht hat in schöpferischer Rechtsprechung weitere Gründe als missbräuchliche Kündigungsgründe qualifiziert. Einer dieser Gründe besteht in der Verletzung der Fürsorgepflicht.

Bei Arbeitnehmern in fortgeschrittenem Alter und langer Dienstzeit gilt eine erhöhte arbeitgeberische Fürsorgepflicht. Dazu gehört auch, insbesondere bei älteren Arbeitnehmenden, rechtzeitig über die beabsichtigte Kündigung zu informieren und diese anzuhören. Die Arbeitgeberin ist verpflichtet, nach Lösungen zu suchen, die eine Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses ermöglichen. Dieser besondere Schutz bedeutet jedoch nicht, dass ein absoluter Kündigungsschutz für Arbeitnehmer im fortgeschrittenen Alter besteht.

Das Bundesgericht hat in den letzten Jahren mehrere Entscheide zur Bedeutung der erhöhten Fürsorgepflicht gegenüber älteren Arbeitnehmenden gefällt:

BGer 4A_72/2008 vom 02.04.2008 (Entlassung eines 57-Jährigen nach 33 Dienstjahren aus wirtschaftlichen Gründen nicht missbräuchlich),

BGer 4A_419/2008 vom 29.01.2008 (Entlassung eines 56-Jährigen nach 27 Dienstjahren nicht missbräuchlich),

BGer 4A_558/2012 vom 18.02.2013 (Entlassung eines 64-Jährigen mit 12 Dienstjahren missbräuchlich trotz abnehmender Arbeitsmotivation),

BGer 4A_399/2013 vom 17.02.2014 E. 3.4. (Entlassung eines 70-Jährigen nicht missbräuchlich, auch wenn vier Monate später Betriebsübergang [Art. 333 OR], da allgemeines Pensionsalter überschritten),

BGer 4A_384/2014 vom 12.11.2014 (Entlassung eines 59-Jährigen mit 11 bzw. 35 Dienstjahren trotz ungenügender Leistung missbräuchlich, vorgängige Verwarnung blieb aus.

Keine spezifische Rechtsprechung ist mir zur Frage "wieviel Zusatzaufwand ist vertretbar" bekannt. Hier kommt es auf die konkreten Verhältnisse im Betrieb an, als Grundregel gilt, von einem Grossunternehmen mit HR-Abteilung usw. kann mehr verlangt werden als von einem KMU.

 

Bei Bedarf stehe ich Ihnen gerne für weitere Auskünfte zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüssen

Kurt Pärli