Guten Tag liebes Expertenteam
wir haben eine Frage zum Sozialhilfebudget im Bezug auf folgende Situation:
- Drei schulpflichtige Kinder, alle haben ihre Schriften beim leiblichen Vater
- Kindsvater ist 100% berufstätig
- Kindsmutter ist teilweise berufstätig (ca. 30%)
- Im 2018 haben die Kinder durchschnittlich 19 Tage pro Monat bei der Mutter verbracht, seit Dezember sind es 22 Tage pro Monat. Dies ist langsam und stetig zu gewachsen.
- Finanzen: der Vater übernimmt sämtliche Kosten für die drei Kinder (Krankenkasse, Kleider, Gesundheitskosten, Taschengeld etc.)
- Die Mutter lebt überwiegend von Sozialhilfe. Für die Betreuung ihrer Kinder erhält sie je CHF 15.00 pro Tag sowie die Kosten für den Schulweg. Zusätzlich erhält sie die nächst höhere Stufe für die Bemessung der Miete.
- Ein Unterhaltsvertrag ist nicht vorhanden
- Die Kinder gehen noch in der Gemeinde (Nachbarsort) in die Schule und haben auch ihre Schriften dort.
- Das Budget der Mutter ist anzupassen, sprich die Kinder müssten regulär in die Berechnung einbezogen werden. Der Vater zahlt zwar keine Alimente, zahlt aber alle sonstigen Kosten.
- Gemäss Gewichtung der Verteilung im Grundbedarf könnte man den Anteil für die Kinder, den der Vater bereits zahlt (z.B. Kleider) streichen.
Wie kann die alternierende Betreuung wie in diesem Beispiel finanziell geregelt werden?
Besten Dank.
Freundliche Grüsse
Sabine Bauer
Frage beantwortet am
Ruth Schnyder
Expert*in Sozialhilferecht
Sehr geehrte Frau Bauer
Gerne beantworte ich Ihre Frage. Bei Ihrer Frage geht es letztlich um die Frage der Bemessung des Kindesunterhalts nach Art. 276 i.V.m. Art. 285 ZGB.
Die Frage, wem das Kind sozialhilferechtlich zuzuteilen ist - dem Vater oder der Mutter – stellt dabei eine Vorfrage dar und ist über die örtliche Zuständigkeit zu beantworten. Dabei gehe ich im vorliegenden Fall davon aus, dass die beiden Wohnsitzgemeinden sich im Kanton Bern befinden (falls diese Annahme nicht zutrifft, lassen Sie es mich wissen). Im Kanton Bern richtet sich innerkantonal der sozialhilferechtliche Unterstützungswohnsitz nach dem Zivilrecht (Art. 46 Abs. 1 SHG BE). Art. 11d SHV BE hält fest, dass sich der Wohnsitz dort befindet, wo die unterstützte Person ihre Ausweisschriften hinterlegt hat, wenn nicht nachgewiesen ist, dass der Wohnsitz sich nicht dort befindet. Das Zivilrecht hält fest, dass sich der Wohnsitz von minderjährigen Kindern, deren Eltern nicht den gleichen Wohnsitz haben, sich nach dem Wohnsitz des Elternteils richtet, unter dessen Obhut es steht (Art. 25 Abs. 1 ZGB). Teilen sich die Eltern die Betreuung, hält das Berner Handbuch bzw. BKSE in Ziff. 5.6.1 (Stichwort «Wohnsitz») fest, dass sich der Wohnsitz des minderjährigen Kindes bei jenem Elternteil befindet, wo es mehrheitlich betreut wird. Dies ist eine sachgerechte Auslegung des Zivilrechts und deckt sich etwa auch mit den Empfehlungen der KOKES (Konferenz der Kantone für Kindes- und Erwachsenenschutz) vom 13. Juni 2014 Ziff. 6.3 https://www.kokes.ch/assets/pdf/de/dokumentationen/empfehlungen/15gemeinsameelterlicheSorgeEmpfehlungenKOKESd.pdf. Zu ergänzen ist jedoch, dass sich diese auf die Situation bezieht, wo die Eltern das gemeinsame Sorgerecht haben. Liegt ein Fall des alleinigen Sorgerechts vor, befindet sich das Kind jedoch nicht beim sorgeberechtigten Elternteil, richtet sich sein Wohnsitz dennoch nach dem zivilrechtlichen Wohnsitz des sorgeberechtigten Elternteils (BGE 133 III 305 E. 3.3.4). Sie erwähnen nichts zur Sorgerechtssituation. So gehe ich vom Standard der gemeinsamen elterlichen Sorge aus.
Geht man von der gemeinsamen elterlichen Sorge aus, führt dies in Anwendung von Art. 25 Abs. 1 ZGB in Ihrem Fall zum Ergebnis, dass die minderjährigen Kinder ihren zivilrechtlichen Wohnsitz effektiv bei der Mutter haben, da sie (deutlich) mehrheitlich von ihr betreut werden. Insoweit spielt es auch keine Rolle, wo die Ausweisschriften hinterlegt sind, da damit die entsprechende Vermutung von Art. 11d SHV BE wiederlegt ist. Bei dieser Rechtslage erweist sich als richtig, dass der Sozialdienst seine Zuständigkeit für die Kinder anerkennt und sie im Sinne der Unterstützungseinheit nach Art. 34d Abs. 3 SHV BE in das Dossier der Mutter aufnimmt. Anderes würde es sich aber verhalten, wenn dem Vater das alleinige Sorgerecht zustehen würde (siehe oben).
Bei der Frage, wie die Unterstützung zu bemessen ist, wäre aus meiner Sicht wie folgt vorzugehen: Der Bedarf der Kinder ist nach den ordentlichen Ansätzen zu bemessen, d.h. mit der Mutter ergibt dies ein 4-Personenhaushalt. Die Frage ist nun, wie die direkten finanziellen Leistungen des Vaters angerechnet werden sollten, welche zivilrechtlich als Naturalleistungen qualifiziert werden können. Im Regelfall hat der nicht (mehrheitlich) betreuende Elternteil ein Unterhaltsbeitrag in Form einer Geldleistung zu entrichten. Liegt wie in Ihrem Fall kein Unterhaltsvertrag (und wohl auch kein Unterhaltsurteil) vor, worin die Unterhaltspflicht geregelt ist, versucht der Sozialdienst eine einvernehmliche Regelung zu erzielen (Art. 38 SHG BE, Ziff. 3.1 BKSE, Stichwort «Elternbeiträge»). Weder das SHG noch die SHV des Kantons Bern schreiben den Weg für die einvernehmliche Regelung vor. Die SKOS-RL (welche für den Kanton Bern grundsätzlich verbindlich sind, Art. 8 Abs. 1 SHV BE) empfehlen in den Praxishilfen H.3 zu Kap. F. 3.3 die Bemessung auf Basis eines erweiterten SKOS-Budgets. Diese Empfehlungen sind eine Praxishilfe zur Regelung des Geldunterhalts. Wie mit erbrachten Naturalleistungen des Unterhaltsverpflichteten zu verfahren ist, wird nicht erwähnt. Aus sozialhilferechtlicher Sicht erscheint mir am praktikabelsten und auch sachgerecht, wenn der Unterhaltsbeitrag im Sinne einer Geldleistung des Vaters auf Basis der Praxishilfe der SKOS-RL bemessen würde (möglich und wohl richtiger wäre auf Basis des zivilrechtlich massgebenden familienrechtlichen Grundbedarfs, da es sich um einen zivilrechtlichen Anspruch handelt). Bei den Zahlungsmodalitäten wäre aber betraglich aufzuschlüsseln, in welchem Umfang der Vater den Unterhaltsbeitrag als Geldzahlung und in welchem Umfang als Naturalleistung erbringt. Dies hätte den Vorteil, dass die Sozialhilfe auf der Einnahmenseite einfach den gesamten Unterhaltsbeitrag anrechnen kann, dem Vater es aber weiterhin möglich ist, den Unterhalt so zu erbringen, dass er den Kindern Kleider usw. kauft und ggf. zusätzlich einen Geldbetrag an den Barunterhalt leistet. Die Eltern haben dafür besorgt zu sein, dass die Vereinbarung über die Zahlungsmodalitäten eingehalten wird.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass bei Annahme der gemeinsamen elterlichen Sorge und eines innerkantonalen Sachverhaltes die Kinder in den örtlichen Zuständigkeitsbereich Ihres Sozialdienstes fällt. Die Unterhaltspflicht des Vaters ist im Rahmen eines einvernehmlich festzulegenden Elternbeitrages zu berücksichtigen, wobei im Rahmen der Zahlungsmodalitäten der Erbringung des Unterhalts in Form von Kleiderkäufen etc. Rechnung getragen werden kann.
Ich hoffe, Ihnen hilft meine Antwort, um das weitere Vorgehen im konkreten Fall festzulegen.
Ich wünsche Ihnen schöne Ostern.
Freundliche Grüsse, Ruth Schnyder
Guten Tag Frau Schnyder
besten Dank für Ihre umfangreiche und differenzierte Antwort.
Ich schätze das sehr.
Beste Grüsse
Sabine Bauer