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Akteneinsicht von unterstützungspflichtigen Verwandten

Veröffentlicht:
09.01.2020
Kanton:
Bern
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Sehr geehrte Damen und Herren

1. Ein gemäss Art. 328 ZGB unterstützungspflichtiger Vater eines SH-beziehenden Klienten verlangt, vor einer allfälligen Zahlung, umfassende Einsicht ins SH-Dossier des Sohns. Inwieweit darf ihm Einsicht gegeben werden?

2. Falls eine Vereinbarung über die zu leistenden Verwandtenbeiträge scheitert, kann der Sozialdienst zur Geltendmachung von Verwandtenbeiträgen ein Gesuch bei der Schlichtungsbehörde gem. Art 197 ff. ZPO einreichen? Oder müsste man direkt beim Gericht klagen?

Mit freundlichen Grüssen

G. Heeb

Soziale Dienste Brügg

Frage beantwortet am

Anja Loosli Brendebach

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrter Herr Heeb

Vielen Dank für Ihre Frage. Ich entschuldige mich in aller Form für die verspätete Beantwortung und hoffe, dass ich Ihnen mit meiner Antwort dennoch weiterhelfen kann.

1. Nach Art. 8 Abs. 1 des Sozialhilfegesetzes des Kantons Bern (SHG BE, BGS 860.1) haben Personen, die sich mit dem Vollzug des Sozialhilfegesetzes befassen über Angelegenheiten, die ihnen dabei zur Kenntnis gelangen zu schweigen. Die Schweigepflicht entfällt nach Abs. 2 Lit. a von Art. 8 SHG BE dann, wenn die betroffene Person zur Auskunftserteilung ermächtigt hat. Die Sozialhilfebehörden dürfen nach Art. 8a Abs. 1 SHG BE Informationen nach Art. 8 SHG BE an Dritte weitergeben, wenn entweder die Informationen nicht personenbezogen sind oder die Betroffenen ausdrücklich zugestimmt haben oder es zur Erfüllung der Sozialhilfeaufgaben zwingend erforderlich ist oder eine gesetzliche Grundlage die Weitergabe verlangt. Eine Auskunft an Verwandte ist gemäss dem Sozialhilfehandbuch BKSE datenschutzrechtlich deshalb dann zulässig, wenn sie der Geltendmachung/Einforderung der Verwandtenunterstützung dient.

Verwandtenunterstützung ist nach Art. 328 des Zivilgesetzbuches (ZGB, SR 210) dann geschuldet, wenn jemand sich in günstigen Verhältnissen befindet, die verwandte Person aber in einer Notlage. Keine oder nur eine eingeschränkte Pflicht zu Verwandtenunterstützung besteht nach Art. 329 Abs. 3 ZGB, wenn die Verwandtenunterstützung unbillig wäre (z.B. unbegründeter Kontaktabbruch des Berechtigten, Straftat des Berechtigten gegen den Pflichtigen).

Ich bin der Meinung, dass es beim heiklen Institut der Verwandtenunterstützung sinnvoll ist, sich in einem ersten Schritt mit der unterstützten Person zu besprechen. Es stellt sich immer die Frage, ob es Gründe gibt, um auf die Geltendmachung zu verzichten (z.B. eine strafbare Handlung der unterstützten Person gegenüber der pflichtigen Person). Nur wenn keine solchen Gründe vorliegen, ist die Verwandtenunterstützung geltend zu machen. Am sinnvollsten erscheint es mir, wenn die unterstützte Person schriftlich einwilligt, dass die pflichtige Person ihre Akten sehen darf. Allenfalls kann sie auch einverstanden sein, dass die pflichtige Person nur einen Teil der Akten sieht. Ist die unterstützte Person mit der Akteneinsicht der pflichtigen Person nicht (oder nicht vollumfänglich) einverstanden, rechtfertigt das Gesetz es meiner Ansicht nach nicht, dass die Sozialhilfe der pflichtigen Person sämtliche Akten offen legt, denn darin sind auch heikle Daten enthalten, die nicht direkt etwas mit der Verwandtenunterstützung zu tun haben und sehr persönlich sind (z.B. Informationen von Dritten, die schützenswert sind). Informieren muss und darf die Sozialhilfe aus meiner Sicht nur darüber, dass jemand unterstüzt wird, sich also in einer Notlage befindet und - auch von der Sozialhilfe - alles unternomem wird, dass die Notlage behoben wird.

Zusammengefasst: Meiner Ansicht nach ist eine umfassende Akteneinsicht datenschutzrechtlich nur mit schriftlicher Einwilligung der unterstützten Person möglich. Eine partielle Einsicht ist datenschutzrechtlich auch ohne Einwilligung möglich, soweit damit die Notlage belegt wird. Wichtig ist aber, dass die betroffene Person über die Datenbekanntgabe informiert wird.

2. Falls Sie keine aussergerichtliche Einigung mit der pflichtigen Person erzielen können, ist - wie Sie dies vermuten - nach Art. 197 der Zivilprozessordnung (ZPO, SR 272) in einem ersten Schritt ein Schlichtungsgesuch bei der örtlich zuständigen Schlichtungsstelle einzureichen. Findet sich auch im Schlichtungsverfahren keine einvernehmliche Lösung, ist in einem zweiten Schritt eine Klage beim zuständigen Gericht einzureichen. Über das diesbezügliche Vorgehen informiert in der Regel die Schlichtungsstelle.

Freundliche Grüsse

Anja Loosli Brendebach