Sehr geehrte Frau Moser
Es handelt sich um einen Fall, welcher ausgiebig in den Medien behandelt wurde, weshalb ich Bedenken betreffend Datenschutz habe und lieber nicht möchte, dass der Beitrag öffentlich eingesehen werden kann. Ich befürchte, dass Rückschlüsse gezogen werden könnten.
Ausgangslage: Eine Familie mit negativem Asylentscheid mit angeordneter Wegweisung. Ausreisefrist ist abgelaufen, die Familie hält sich illegal in der Schweiz auf. Durch ein Unglück werden zwei Kinder Vollwaisen (November 2018 ). Es wird ein Härtefallgesuch gestellt damit der Aufenthalt der Kinder legalisiert werden kann. Die Kinder haben nun per 1. Februar 2019 einen B-Ausweis (ohne Flüchtlingseigenschaft) erhalten.
Die Einreise in die Schweiz erfolgte im April 2015.
Frage 1: Können die Kinder mit dem aktuellen Status respektive mit dem Status zum Zeitpunkt des Unglücks eine AHV-Waisenrente erhalten? Oder sehen Sie allenfalls andere sozialversicherungsrechtliche Ansprüche?
Frage 2: Wenn nein, wäre allenfalls eine Möglichkeit Ergänzungsleistungen ohne Rente nach 10 Jahren zu beantragen? Wenn ja, welches Datum wäre dann massgebend? Das Todesdatum der Eltern oder das Datum der Einreise oder noch ein anderes Datum?
Besten Dank für ihre Bemühungen.
Freundliche Grüsse
David Leuenberger
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Sehr geehrter Herr Leuenberger. Ich muss noch einen Punkt abklären. Sie können eine Antwort anfangs nächster Woche erwarten. Beste Grüsse Peter Mösch Payot
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Sehr geehrter Herr Leuenberger
Wenn ich den Fall richtig interpretiere, haben die Kinder weder die Flüchtlingseigenschaft, noch sind sie staatenlos. Somit kommt der Bundesbeschluss über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und Staatenlosen in der Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung nicht zur Anwendung. Ebenso nehme ich an, die Waisen und ihre Eltern stammen auch nicht aus einem Staat, mit dem die Schweiz ein Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen hat.
Hingegen besteht für die Waisen eine Härtefallbewilligung für abgewiesene Asylsuchende.
- Eine Waisenrente erhält das Kind, wenn die versicherte Mutter oder der versicherte Vater stirbt. Sind beide Eltern verstorben besteht ein Anspruch auf zwei Waisenrenten. Pflegekinder und Stiefkinder, welche unentgeltlich betreut werden, sind leiblichen Eltern gleichgestellt (Art. 25 AHVG, Art.e 49 AHVV).
Entscheidend ist also, ob die Eltern AHV-unterstellt waren. Das ist gemäss Art. 1a Abs. 1 lit. a und b AHVG, wenn und soweit die Betroffenen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz haben. Sowohl, wenn die Betroffenen erwerbstätig waren, aber auch wenn sie es nicht waren.
Im Sinne von Art. 13 ATSG gilt dabei der zivilrechtliche Wohnsitz. Es ist also entscheidend, dass jemand sich mit der Absicht dauernden Verbleibens in der Schweiz aufhält.
Für die AHV gilt dabei für die Leistungsberechtigung die Mindestbeitragsdauer von einem Jahr (Art. 42 AHVG). In diesem Fall gehe ich davon aus, dass die Eltern der Waisen wohl vor dem Todesfall bereits mehr als ein Jahr der AHV-unterstellt und auch beitragspflichtig waren.
Es ist zu prüfen, ob die Betroffenen eine AHV-Nummer haben bzw. hatten, z.B. weil ein Arbeitgeber Lohn für sie bei der AHV abgerechnet hatte. Ansonsten sind die geschuldeten Beiträge für Nichterwerbstätige rückwirkend zu leisten.
Gemäss Art. 14 Abs. 2bis lit. a bis c AHVG gilt dabei, dass die Beiträge von nicht- erwerbstätigen Asylsuchenden, vorläufig Aufgenommenen und Schutzbedürftigen ohne Aufenthaltsbewilligung erst dann festzusetzen und zu entrichten sind, wenn die Personen als Flüchtlinge anerkannt wurden, eine Aufenthaltsbewilligung gemäss Art. 31 VZAE erteilt wird oder auf Grund des Alters, des Todes oder der Invalidität dieser Personen ein Leistungsanspruch entsteht.
Letzteres ist hier der Fall, so dass auf jeden Fall für die Zeit, als die Personen noch im Asylverfahren waren (und noch nicht Sans-Papiers), wahrscheinlich aber auch für die Zeit, als sie belegbar nachher als Sans-Papiers in der Schweiz waren, Beiträge zu erheben sind. Dabei ist die Verjährungsfrist von fünf Jahren zu beachten, beginnend ab Ende des Jahres, für welches Beiträge hätten entrichtet werden müssen (vgl. Art. 16 AHVG). Es gilt hier, der Anspruch auf Waisenrenten geltend zu machen, und gleichzeitig sind ohne Verzug seitens der Waisen oder ihrer gesetzliche Vertreter die Nichterwerbsbeiträge bzw. die Beiträge als Erwerbstätige der Verstorbenen nachzahlen zu lassen.
Art. 16 Abs. 2 letzter Satz AHVG macht klar, dass nicht erloschene Beitragsforderungen noch geltend zu machen sind und dann aber mit den Ansprüchen auf Waisenrenten gemäss Art. 20 Abs. 2 lit. a AHVG verrechnet werden können. - Ein Anspruch auf Ergänzungsleistungen kann zusätzlich bestehen, soweit die betroffenen Kinder einen legalen Aufenthalt in der Schweiz haben. Das ist bei den Betroffenen erst seit der Härtefallbewilligung der Fall.
Zu beachten ist dabei aber die besondere Karenzfrist des (legalen) Aufenthaltes in der Schweiz und diese dürfte im vorliegenden Fall bei 10 Jahren liegen. Das heisst, dass die Betroffenen die Schweiz während dieser Zeit seit ihrer Wohnsitznahme (Einreise) nicht längere Zeit verlassen haben dürfen.
Dieser Anspruch auf EL nach Bestehen der Karenzfirst besteht, soweit hier tatsächlich ein Anspruch auf eine ordentliche Waisenrente besteht, also die Versicherungsunterstellung und Beitragsschuld seitens der Verstorbenen mindestens ein Jahr bestand (und dann auch, ev. post mortem bezahlt werden).
Der Anspruch auf EL besteht, nach Bestehen der Karenzfrist von 10 Jahren, aber auch dann, wenn die Waisenrenten wegen Nichtbestehen der Versicherungsunterstellung und der Leistung der Beiträge nicht gewährt würde (vgl. Art. 5 Abs. 4 ELG).
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot