Guten Tag
Mein Klient aus dem Kanton Solothurn war bis im Oktober 2019 bei einem Gastrounternehmen angestellt. Im Zuge der Pandemie wurde ihm gekündigt, den Anforderungen des RAV kam er aufgrund seiner Alkoholabhängigkeit nicht nach. Im Dezember 2021 wurde er geschwächt in seinem Bett vorgefunden, wo er mehrere Tage gelegen hatte. Nach einem Spitalaufenthalt trat er in eine Rehabilitationsklinik ein. Er leidet an einer Erkrankung des Gehirns, welche sich dadurch äussert, dass er zu Beginn der Hospitalisation vollständig pflegebedürftig und nicht gehfähig war. Kognitiv war er zeitlich, örtlich und situativ desorientiert. Gemäss dem ärztlichen Bericht, ist die aktuelle Erkrankung auf den Alkoholmissbrauch und auf einen Vitaminmangel zurückzuführen und potentiell reversibel. Es würden sich aber längst nicht alle Betroffenen vollständig erholen.
Aktuell wird der Klient von der Sozialhilfe unterstützt. Diese hat zusammen mit den Sozialarbeitern der Reha die Anmeldung bei der IV getätigt. Ein Leistungsanspruch kann erst ab Dezember 2022 geprüft werden. Der Klient wird im Juni 2022 63 Jahre alt.
Aus diesem Grund hat der Sozialdienst den Klienten verpflichtet, sich zum AHV-Vorbezug anzumelden. Zudem muss er sein BVG-Altersguthaben in der Höhe von ca. CHF 160'000.00 auslösen und dieses zur Finanzierung des Lebensunterhaltes verwenden. Dies hätte zur Folge, dass der Klient 13,6% weniger AHV bekäme und deswegen sein BVG-Altersguthaben schneller verbrauchen würde. Ob er für die Ergänzungsleistungen qualifizieren würde, ist von seiner zukünftigen Pflegebedürftigkeit und Institution abhängig. Eine Rückkehr nach Hause ist ausgeschlossen.
Gemäss Auskunft des Sozialdienstes könne auf den Vorbezug der AHV-Rente wieder verzichtet werden, sollte zu einen späteren Zeitpunkt die IV rückwirkend eine Rente gewähren. Auf Rückfrage bei der Ausgleichskasse wurde mir diese Auskunft nicht bestätigt. Es scheint allemal illusorisch, dass die IV nach erfolgter AHV-Anmeldung noch eine Berentung prüft.
Fraglich ist nun, ob die AHV-Anmeldung zum Vorbezug in der vorliegenden Situation tatsächlich erfolgen muss und wenn ja, ob eine spätere "Rückkehr" zur IV möglich ist.
Besten Dank für Ihre Einschätzung!
Frage beantwortet am
Anja Loosli
Expert*in Sozialhilferecht
Guten Tag
Vielen Dank für Ihre Frage. Ich beantworte diese gerne wie folgt:
Die Weisung, die AHV-Rente vorzeitig zu beziehen und das Freizügigkeitsguthaben auszahlen zu lassen, kann sich auf den Subsidiaritätsgrundsatz (§ 9 Abs. 3 SHG SO) und auf die grundsätzliche Pflicht bedürftiger Personen selber zur Minderung der Bedürftigkeit beizutragen, stützen (§ 10 SHG SO).
Für die Bemessung der wirtschaftlichen Hilfe orientiert sich der Kanton Solothurn an den SKOS-Richtlinien (§ 152 SHG SO). Gemäss diesen (SKOS-RL D.3.3) gehen Leistungen der AHV und Leistungen der 2. Säule und der Säule 3a (privates Sparen) grundsätzlich der Sozialhilfe vor. Ein AHV-Vorbezug kann demnach ein oder zwei Jahre vor der Erreichung des ordentlichen Rentenalters geltend gemacht werden und somit auch erst in diesem Zeitpunkt von der Sozialhilfe verlangt werden. Das Pensionskassenguthaben ist nach SKOS-RL D.3.3 grundsätzlich zusammen mit dem AHV-Vorbezug herauszulösen. Mit der Auslösung auf diesen Zeitpunkt wird der Zweckbestimmung der 2. Säule Genüge getan.
Anmeldeschluss für den Vorbezug der AHV-Rente ist der letzte Tag des Monats, in dem das Altersjahr vollendet wird, ab welchem die Ausgleichskasse die Altersrente ausbezahlen soll (Art. 40 AHVG). Dies wäre vorliegend Juni 2022.
Mit dem Vorbezug der AHV-Rente erlischt der Anspruch auf eine IV-Rente (Art. 30 IVG). Die IV wird deshalb ab AHV-Vorbezug keine Rente ausrichten und ab diesem Zeitpunkt auch den Anspruch IV-Rente prüfen.
Die Weisung muss im konkreten Fall verhältnismässig sein; Grundlegendes zur Konkretisierung der Zumutbarkeit vgl. Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, Entscheid vom 15. Dezember 2003, VB.2003.00286 (www.vgrzh.ch).
Da vorliegend der Vorbezug der Altersrente den Anspruch auf eine IV-Rente erlöschen lassen würde, stellt sich die Frage, ob es verhältnismässig ist, den Vorbezug der AHV-Rente und den Bezug des Pensionskassenguthabens zu verlangen. Das lässt sich nur im Einzelfall entscheiden. Für mich spricht für die Verhältnismässigkeit der Forderung der Sozialhilfe, die AHV-Rente und das Pensionskassenguthaben zu beziehen, dass es offen ist, ob eine IV-Rente zugesprochen würde und eine IV-Rente noch maximal von Dezember 2022 bis zum Erreichen des ordentlichen Rentenalters in 2 Jahren ausbezahlt würde. Gegen die Verhältnismässigkeit der Forderung der Sozialhilfe könnte sprechen, dass bei einem Vorbezug lebenslang eine reduzierte AHV-Rente ausbezahlt wird, bei einer IV-Rente bis zum ordentlichen Rentenalter aber nicht. Allerdings können Ergänzungsleistungen verlangt werden, wenn die Rente und der anrechenbare Vermögensverzehr den Lebensunterhalt nicht decken können. Der vorzeitige Rentenbezug nach Art. 40 AHVG stellt keinen Vermögensverzicht dar (Art. 15a ELV). Insgesamt erscheint mir die Forderung der Sozialhilfe verhältnismässig. Man kann sich aber auch auf einen anderen Standpunkt stellen. In diesem Fall wäre eine Verfügung der Sozialhilfe zu verlangen, wenn noch keine ergangen ist und diese anzufechten.
Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort weiterhelfen zu können.
Freundliche Grüsse
Anja Loosli Brendebach