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ADHS im Erwachsenenalter / IV

Veröffentlicht:
22.04.2022
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialversicherungsrecht

Guten Tag Herr Mösch

Ich begleite einen Mitarbeitenden (51) in meiner Funktion als Sozialarbeiterin in der Betrielichen Sozialberatung, welcher seit zwei Monaten 100% AUF ist. Die Arbeitsunfähigkeit ist zurückzuführen auf eine mehrjährige Überlastung im Job (er arbeitet in der IT einer grösseren Firma als Projektleiter und Datenanalyst). Vor rund 1.5 Jahren wurde bei ihm ADHS diagnostiziert. Der Zusammenbruch erfolgte nach dem sehr schnellen Tod beider Eltern (Covid).

Der Mitarbeiter leidet seit der Krankschreibung an starken Schlafstörungen und Angstzuständen. Eine Rückkehr an den Arbeitsplatz ist mittelfristig laut Therapeut nicht möglich. Er hat eine mittelgradige Depression diagnostiziert. Der MA macht sich aber Gedanken, ob eine Umschulung Sinn machen würde, damit er sein Arbeitsumfeld besser wählen kann, um seiner ADHS-Diagnose besser gerecht werden zu können. Er kann schlecht mit vielen gleichzeitigen Infos umgehen, sein Aufnahmefähigkeit an Sitzungen ist nach einer halben Stunde erschöpft und er hat Mühe mit unklaren Aufträgen. Ausserdem neigt er zu Impulsivität und Unruhe bei zu vielen Nebengeräuschen. Er ist aber überdurchschnittlich gut, wenn er für sich alleine arbeiten kann.

Nun zu meiner Frage. Wann macht die IV -Anmeldung Sinn? Was ist dabei zu beachten? Meines Wissen muss belegt werden, dass das ADHS bereits im Kindesalter diagnostiziert wurde, was bei ihm nicht der Fall ist.  Gibt es Gerichtsurteile, auf welche ich mich berufen kann? Wie schätzen Sie die Chance auf eine Umschulung ein?

Besten Dank für die Rückmeldung.

Frage beantwortet am

Peter Mösch Payot

Expert*in Sozialversicherungsrecht

Guten Tag. 

1. Wenn ich die vorliegenden Situation richtig interpretiere, besteht noch keine eindeutige spezialärztliche Diagnose. Gleichzeitig bestehen eindeutige Symptome für eine dauernde gesundheitliche Einschränkung, die einen Bedarf an IV-Massnahmen wahrscheinlich macht und auch weitere Leistungen notwendig machen kann (IV-Rente etc.).

2. Eine Fernprognose für die Chancen im IV-Verfahren ist hier auf der Basis der knappen Angaben zur gesundheitlichen Situation schwierig. Klar ist im vorliegenden Fall nur, dass das diagnostizierte ADHS nicht als Geburtsgebrechen gilt. Das bedeutet nicht, dass diese Diagnose keine Relevanz für Leistungen wegen (drohender) Invalidität haben kann. Nur muss deren Auswirkung im Besonderen abgeklärt werden. Genau so, wie allfällige weitere Diagnosen, die den Einschränkungen zu Grunde liegen.

3. Im Rahmen eines IV- Verfahrens sind hier wohl weitere medizinische Abklärungen nötig. Und eventuell ist dann mit Blick auf die genaue Prüfung der Auswirkungen der Beschwerdebilder auf die Erwerbsfähigkeit ein strukturelles Beweisverfahren notwendig. Siehe dazu: Kreisschreiben über Invalidität und Renten (KSIR), Stand 1.1.2022, Rz. 1102 ff. insb. Rz. 1106 und Anhang I)

4. Am einfachsten sind allfällige unmittelbare Massnahmen zur Eingliederung im Rahmen der Frühintervention. Insoweit besteht seitens der Invalidenversicherung das grösste Mass an Ermessen. 

Weitere Massnahmen wie die Umschulung oder andere Massnahmen beruflicher Art sind von ergänzenden Voraussetzungen abhängig. Unmöglich ist es hier nicht, dass die weiteren Abklärungen entsprechende Notwendigkeiten erbringen.

5. Ich rate dazu, im vorliegenden Fall  seitens der behandelnden Therapeuten und ev. weiteren Spezialisten eine medizinische Diagnose zu erwirken mit einem kurzen Bericht, ev. auch zu den Auswirkungen auf die Funktionalität im Erwerbsleben.

Und dann unmittelbar eine IV-Anmeldung vorzunehmen.

Ich hoffe, das dient Ihnen. 

Prof. Peter Mösch Payot