Wir haben Fragen zum Thema Massnahmekosten bei Platzierungen mit FU respektive zur Abrechnung dieser Kosten mit der KESB.
Wir sind Sozialdienst im Raum Bern und führen Beistandschaften. Bei Personen, die mit FU platziert sind, wurden bis Ende 2021 die Vollkosten von der KESB übernommen und uns wurde dann einmal im Jahr eine Rechnung gestellt. Dabei kam es dieses Jahr erneut zu Unstimmigkeiten.
Frau G. ist schwer krank (psychisch und physisch) und wird nicht mehr lange leben. Sie musste aus medizinischen Gründen gegen ihren Willen in einer Institution untergebracht werden. Die KESB verlangt von Frau G. rückwirkend rund CHF 53'000.00 (Vollkostentarif). Die Einnahmen durch IV und EL decken nur CHF 19'000.00 davon (üblicher Institutionstarif). Nun wird verlangt, dass die Differenz davon aus dem bescheidenen Vermögen von CHF 68'000.00 (Stand Stichtag Abrechnung, aktuell nur noch CHF 57'000.00) beglichen wird. Dieses Vermögen stammt einzig aus einem herausgelösten Freizügigkeitskonto.
Wäre Frau G. freiwillig eingetreten, so hätte dieses Vermögen bloss im Rahmen des Vermögensverzehrs seitens EL abgenommen. So muss sie nun anscheinend ihre gesamte Altersvorsorge aufbrauchen. Diese Ungerechtigkeit wurde, soweit uns ist, vom Gesetzgeber erkannt und deswegen aufs Jahr 2022 auch angepasst. Anscheinend wirkt sich das aber leider nicht mildernd auf die offenen Fälle vom 2021 aus.
Besonders schwierig ist hier noch folgendes: die Gesundheitskosten sind immens. Wenn wir das Vermögen nun aufbrauchen, müssen wir eine Sozialhilfeanmeldung vornehmen, nur um die Rechnungen fristgerecht bezahlen zu können (bis die Abrechnung mit der EL vorgenommen wurde dauert zu lange). Hinzu kommt, dass die Jahreslimite der EL-Krankheitskosten ca. im Herbst aufgebraucht sein wird und wir dann Sozialhilfeanträge oder Fondgesuche stellen werden müssen, nur um verordnete und dringend notwendige Medikamente, allg. Gesundheitskosten zahlen zu können.
Was hinzukommt: aktuell haben wir gar nicht mehr genügend Geld auf dem Konto um die Schulden zu begleichen. Die KESB wirft uns vor, wir seien zu freizügig mit dem Vermögen umgegangen. Von uns wurde erwartet, dass wir nicht mehr als 367.- im Monat ausgeben für Lebensunterhalt, damit wir möglichst die gesamten Ausgaben der Behörde decken können. Somit hätten wir unsere Klientin jedoch schlechter behandeln müssen als alle anderen Personen mit IV/EL, die im Heim sind und noch etwas Vermögen haben, da diese nämlich das Vermögen anzehren dürfen.
Die Mandatsführerin hat einen teilweisen Erlass beantragt innerhalb der 30 Tage nach Eintreffen der Verfügung der KESB. Dieser wurde leider abgelehnt und wir wurden aufgefordert den gesamten offenen Betrag unverzüglich zu begleichen.
Fragen
Hat das vorhandene Vermögen einen besonderen Schutz und müsste anders behandelt werden, da es sich um BVG Geld handelt? Falls nein: hätte das BVG Kapital auch gebraucht werden müssen, wenn es noch auf einem Freizügigkeitskonto gewesen wäre?
Gibt es eine Rechtsgrundlage für den Sparauftrag seitens KESB (nur 367.- Lebensunterhalt damit möglichst viel der Ausgaben der Behörde gedeckt werden kann)?
Zählt unsere Eingabe als Beschwerde auch wenn es als Antrag formuliert war?
Können wir verlangen, dass die CHF 4'000.00 Vermögensfreibetrag zum aktuellen Zeitpunkt einberechnet wird und nicht zum Abrechnungszeitpunkt? (Da heute dadurch die mögliche Zahlung an die KESB verringert würde)
Frage beantwortet am
Karin Anderer
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Grüezi
Gemäss den zusätzlichen Angaben ergibt sich aus der Verfügung, dass die KESB die Unterbringungskosten vorschüssig bezahlt hat.
Art. 42 KESG/BE (in der Fassung bis zum 31.12.2021) regelt die Vorfinanzierung, wenn die betroffene Person aufgrund ihrer Einkommens- und Vermögensverhältnisse nicht in der Lage, für die ihr auferlegten Kosten aufzukommen. Und Art. 43 KESG/BE verpflichtet die betroffene Person zur Nachzahlung, wenn sich ihre wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich verbessert haben und ihr eine Nachzahlung zugemutet werden kann. Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde prüft regelmässig, ob die Voraussetzungen der Nachzahlungspflicht erfüllt sind. Nach Abschluss des Verfahrens oder nach Aufhebung der Massnahmen wird der vorfinanzierte Betrag von der KESB in einer anfechtbaren Verfügung festgelegt. Das hat sie hier mit der Verfügung vom 29.12.2021 getan.
Art. 11 KESV/BE (in der Fassung bis zum 31.12.2021) enthält eine Regelung, wie im Falle der Vorfinanzierung die Nachzahlung zu ermitteln ist:
1 Hat der Kanton oder die für die Sozialhilfe zuständige Burgergemeinde die Kosten für die Massnahme finanziert, so ist die betroffene Person zur Nachzahlung verpflichtet, wenn sich ihre wirtschaftlichen Verhältnisse so weit verbessert haben, dass ihr Einkommen und Vermögen die in der Sozialhilfegesetzgebung festgelegten Grenzen übersteigt, welche für die Berechnung der Rückerstattung wirtschaftlicher Hilfe massgebend sind.
2 Die Vorschriften der Sozialhilfegesetzgebung über die Befreiung von der Rückerstattungspflicht gelten sinngemäss.
Dem Berner Handbuch Sozialhilfe ist unter dem Stichwort „Rückerstattungspflicht“ in Ziffer 5.3.2. zu entnehmen, „dass die Auszahlung eines Freizügigkeitsguthabens nach Eintritt eines durch die 2. Säule abgedeckten Risikos (Alter, Invalidität, Tod) keinen Vermögensanfall im Sinne des Rückerstattungsrechts dar. Vielmehr kommt einem solchen Guthaben die Funktion von in Kapitalform zugegangenen Ersatzeinkünften zu. Es ist für den laufenden Lebensunterhalt zu verwenden und soll dazu beitragen, dass die Person künftig nicht (mehr) unterstützt werden muss. Für die Beurteilung, ob sich die wirtschaftlichen Verhältnisse der betroffenen Person wesentlich verbessert haben, muss somit eine Berechnung nach 5.3.3 erfolgen.“ Kapitel 5.3.3. enthält eine Berechnung, um die Zumutbarkeit der Rückerstattung zu ermitteln. Folgendes wird festgehalten: „Freizügigkeitsguthaben ist rechnerisch in Einkommen umzuwandeln und zu den übrigen Einkünften (z.B. Renten) dazuzurechnen. Die vorgesehenen Freibeträge (vgl. Ziff. 5.3.2 hiervor) sind zu gewähren. Ausnahme: Wenn der Existenzbedarf der Klientel bereits mit Leistungen der ersten Säule gedeckt wird und im Rahmen der Ergänzungsleistungen bereits ein Freibetrag zugestanden wurde, ist für die Berechnung der Rückerstattungsforderung kein Freibetrag mehr zu gewähren. Ein Fünfzehntel des Freizügigkeitskapitals ist als Einkommen aufzurechnen. Dabei ist der bereits eingetretene Vermögensverzehr jeweils jährlich zu berücksichtigen.“
Gemäss den zusätzlichen Angaben hat die KESB keine solche Berechnung angestellt. Ich empfehle Ihnen für das weitere Vorgehen, eine solche Berechnung vorzunehmen.
Der Antrag der Beiständin auf einen „teilweisen Erlass der Massnahmenkosten im Sinne eines Härtefallgesuchs“ stellt kein Rechtsmittel dar. Die Verfügung der KESB ist deshalb in Rechtskraft erwachsen.
Ich empfehle Ihnen, ein Wiederwägungsgesuch zu stellen, obwohl ein solches nicht erhoben werden kann, um eine abgelaufene Rechtsmittelfrist quasi wiederherzustellen. Da aber hier, soweit ich das beurteilen kann, die KESB die Nachzahlung der vorfinanzierten Kosten nicht nach Art. 11 KESV/BE (in der Fassung bis zum 31.12.2021) ermittelt hat, könnte sie gewillt sein, den Fehler zu beheben.
Gemäss den zusätzlichen Angaben ist die KESB auf das Härtefallgesuch der Beiständin inhaltlich mit keinem Wort eingegangen, was die besonderen Umstände der Klientin betrifft. Sie hat das Härtefallgesuch auch nicht mittels einer Verfügung abgelehnt. Ich empfehle Ihnen, eine rechtsmittelfähige Verfügung zu verlangen und nochmals auf die besonders schwierigen Umstände und die Notwendigkeit des Erlasses hinzuweisen.
Idealerweise stellen Sie das Wiedererwägungsgesuch und verlangen in einem separaten Schreiben gleichzeitig die Verfügung betreffend des Härtefallgesuchs, für den Fall, dass auf das Wiedererwägungsgesuch nicht eingetreten wird.
Alternativ könnte auch ein aufsichtsrechtliches Verfahren in Betracht gezogen werden und die Aufhebung oder Abänderung der rechtskräftigen Verfügung verlangt werden. Das hat aber nur unter strengen Voraussetzungen Erfolg, dann, wenn gegen klares Recht oder wesentliche Verfahrensvorschriften verstossen wird. Hierzu müssten wohl weitere Abklärungen erfolgen.
Im Anhang finden Sie den Bundesgerichtentscheid 5A 757/2018 vom 20. Mai 2019. Es geht um die Kosten der FU im Kanton Bern, hier aber nicht um vorfinanzierte Kosten nach Art. 11 KESV/BE (in der Fassung bis zum 31.12.2021) sondern um die direkte Kostenauferlegung nach Art. 10 Abs. 2 KESV/BE (in der Fassung bis zum 31.12.2021). Das Bundesgericht ist auf etliche Vorbringen allerdings nicht eingetreten, da die Verletzung von kantonalem Recht nicht genügend gerügt wurde.
Die Beistandsperson hat nach Art. 388 und 406 ZGB die Interessen und die Selbstbestimmung der betroffen Person zu wahren. Nach Art. 408 ZGB ist die Beistandsperson zu einer sorgfältigen Einkommens- und Vermögensverwaltung verpflichtet und die betroffenen Person hat nach Art. 409 ZGB Anspruch auf Beiträge zur freien Verfügung. Daraus ergibt sich, dass die KESB kein "Zwangsparen" anordnen kann, auch nicht zur Deckung allfälliger Behördenkosten.
Ich hoffe, die Angaben sind hilfreich und ich grüsse Sie freundlich.
Luzern, 8.7.2022
Karin Anderer