Guten Tag
Einer unserer Patienten stand bis 31.12.2020 in einem Arbeitsverhältnis. Im Monat Okt. 2020 wurde der Patient bereits arbeitsunfähig (AUF) geschrieben. Von Nov. 2020 bis Anfang Feb. 2021 wurde keine AUF attestiert. Seit Anfang Feb. 2021 hat der Patient einen Rückfall erlitten (das gleiche wie im Okt. 2020). Nun hat er 90 Tage Zeit für den Übertritt in die Einzelversicherung. Diese möchte der Patient nun noch abschliessen.
Darf die KTV die Leistungspflicht unter Berufung auf das Rückversicherungsverbot ablehnen, indem sie behauptet, dass der Patient bereits vor Übertritt in die Einzelversicherung AUF war? Die Offertenanfrage für die Einzelversicherung würde ja tatsächlich erst nach Eintritt der AUF erfolgen, aber die Einzelversicherung würde rückwirkend auf den Zeitpunkt des Erlöschens des Versicherungsschutzes durch die Kollektivversicherung erfolgen (ab 01.01.2021).
Und noch etwas... die KTV hat mir und dem Patienten die AVB verweigert, da diese den Patienten nicht angehen würden. Er müsse diese beim ehem. Arbeitgeber einholen. Bis anhin wurden mir die AVB immer ausgehändigt. Auf Herausgabe der AVB hat man als versicherte Person schon Anspruch, oder?
Freundliche Grüsse
Sarina Britt
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Gerne beantworte ich Ihre Fragen.
a) Zuerst zur Frage der Einsicht durch die ArbeitnehmerIn (oder ihre bevollmächtigte Person) in die AVB der Krankentaggeldversicherung:
Tatsächlich ist es bei Kollektivtaggeldversicherungen so, dass die Arbeitgeberin Versicherungsnehmerin ist, und nicht die über die Anstellung bei der Arbeitgeberin versicherten Mitarbeitenden.
Der Arbeitgeber ist gehalten, die Mitarbeitenden über wesentliche Inhalte der AVB zu informieren. Vgl. Art. 3 Abs. 3 VVG und Art. 331 Abs. 4 OR. Ansonsten kann er haftbar werden, wenn Versicherungsleistungen ausbleiben. Die Informationsberechtigung besteht also primär gegenüber dem Arbeitgeber. Direkte Auskünfte dürfte die Kollektivkrankentaggeldversicherung der/dem Arbeitnehmenden nur erteilen, wenn die Arbeitgeberin als Versicherungsnehmerin zustimmt.
Fazit: Primär ist die AVB beim Arbeitgeber herauszuverlangen.
b) Für Versicherte, die während der Kollektivdeckung arbeitsunfähig werden gilt im Prinzip eine Pflicht zur Nachdeckung, auch mit Blick auf den Rückfall. Ausser dies wäre explizit durch die AVB ausgeschlossen.
Soll unabhängig davon eine Versicherungsdeckung für neue Erkrankungen erfolgen, so ist ein nahtloser Übergang in die Einzelversicherung notwendig.
Das Bundesgericht hatte schon entschieden, dass bei Rückfällen wie hier die Kollektivdeckung auch über den Übertritt hinaus gelten muss. Vgl. Urteil des Bundesgerichts 4A_39/2009 vom 7.4. 2009 E.3.5. Weitere Aspekte könnten wohl nur beurteilt werden bei einer genauen Analyse der relevanten AVB.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot
Sehr geehrter Herr Mösch Payot
Vielen Dank für Ihre Rückmeldung. Inzwischen ist herausgekommen, dass der Arbeitgeber den Krankheitsfall vom Oktober 2020 der KTV nicht gemeldet. hat. Aber wahrscheinlich wird die KTV bei der Schadenmeldung erfragen, ob es sich um einen Rückfall handelt.
Mal angenommen es zählt nicht als Rückfall, sondern als Neuerkrankung ab Februar 2021, dürfte die KTV die Versicherungsleistungen für diese Erkrankung ablehnen, indem sie begründet, dass der Versicherte die Police erst nach Eintritt der Erkrankung eingereicht hat? Die 90 Tage für den Übertritt (gem. AVB) würden ja eingehalten werden und die Einzelversicherung würde rückwirkend ab dem 01.01.2021 in Kraft treten.
Freundliche Grüsse
Sarina Britt
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Sehr geehrte Frau Britt
An sich dürfte dieses Argument NICHT angebracht werden zur Verweigerung des Übertritts. Vorbehalten sind tatsächlich abweichende Bestimmungen in den AVB. Ebenfalls kann es je nach AVB darum gehen, ob die betroffene Person als arbeitslos gilt. In diesem Fall muss nämlich ein Übertrittsrecht zwingend angeboten werden (vgl. Art. 100 Abs. 2 VVG i.V.m. Art. 71 Abs. 2 KVG) entsprechend den in den Verträgen genannten Fristen (oft drei Monate, manchmal auch 30 Tage).
Damit eine Arbeitslosigkeit angenommen werden kann trotz voraussichtlich ev. dauernder Arbeitsunfähigkeit müsste eine Restarbeitsfähigkeit von 20% bestehen und mit der ALV-Anmeldung auch eine IV-Anmeldung gemacht werden, damit die Vorleistungspflicht der ALV ins Spiel kommt (vg. Art. 15 AVIG und Art. 15 AVIV).
Ich hoffe, das dient.
Prof. Peter Mösch Payot