Sehr geehrte Damen und Herren
Gerne möchte ich Sie um rechtliche Auskunft und Unterstützung in Bezug auf folgende Ausgangslage bitten:
Ausgangslage:
Berufsbeistandschaft Art.
Jugendlicher, 14 Jahre alt, wohnte seit seinem 1 Lebensjahr bei einer Pflegefamilie. Heilpädagogische, schulische und therapeutische Unterstützung ab Kindergarten. Verschiedene Themen wie Verhaltensauffälligkeiten und Lernschwierigkeiten, etc. vorhanden. Erstmalige (zuhnehmende Schulschwierigkeiten vor den Sommerferien 2019). Beginnernder Opportunismus, Abgängikgit und Abzentismus. 11.2019 Bedrohung Pflegemutter und Platzierung in 1. Heim bis Anfang 08.2020. Anschliessend Wechsel zu 2. Institution, welche den Aufenthalt im September 2021 kündigte. Dies da sie sich trotz 1:1 Betreuung nicht in der Lage sahen, in ihrem Sonderschulheim eine adäquate Förderung und Betreuung durchzuführen.
Anschliessend wurde unter Einbezug der involvierten Fachpersonen eine Anschlusslösung gesucht. Es wurde eine Rückplatzierung in die Pflegefamilie aufgegleist mit Unterstützung. Diese erfolgte im Februar 2022. Nach den ersten Monaten zeigte sich, dass das Unterstützungssetting ausgebaut und angepasst werden muss. Es besteht aus der Pflegefamilie, SpF und Time-out. Aufgrund des bisherigen Verlaufes, wonach eine 1:1 Betreuung in einer sozialpädagogischen Institution nicht funktionierte, sollte die Notwendigkeit dazu eigentlich nachvollziehbar sein.
Es wird empfohlen aufgrund der dahinterliegenden Entwicklungsthemen ihn nicht aus dem Bindungsumfeld, resp. seinem Umfeld herauszureissen und neu zu platzieren. Er müsste erneut wieder von vorne beginnen. Seine Bindungsstörung erschwert ihm den Anschluss in einem neuen Umfeld. Zudem ist es der Weg, welcher er selber gewählt hat und für welchen er eine Motivation ausdrückt. Seine bisherigen Leistungen in Bezug auf die Teilnahme in der Schule, die Rückkehr bei Ausrissen, neu Mitarbeit mit der SpF etc. sollten anerkannt werden. Zudem bietet das aktuelle Setting wichtige Ressourcen (Bezugspersonen, förderliches Schulsetting) und wurde in Bezug auf die notwendige Unterstützung nun gut aufgestellt. Es wäre für seine Entwicklungsschritte kontraproduktiv, jetzt einen Wechsel vorzunehmen.
Die Gemeinde Hendschiken, Aargau, welche Unterstützungswohnsitz hat, hat die Kostengutsprache jedoch abgelehnt. Die Kosten für das gesamte Setting betragen rund CHF 9880.-. Ohne die Anpassung des Settings ist dieses zum Scheitern verurteilt.
Damit ist dieses Setting und die Platzierung bei den Pflegeeltern gefährdet.
Die Verfügung hat eine Frist von 30 Tagen zur Beschwerde. Zu berücksichtigen ist, dass bei Fehlender Kostengutsprache die involvierten Angebote wie SpF und Time-out (welche erhöht wurden und mit geringerem Umfang keinen Sinn machen, da ungenügend) aussteigen.
Vielen Dank für Ihre Unterstützung.
Freundliche Grüsse
Frage beantwortet am
Ruth Schnyder
Expert*in Sozialhilferecht
Guten Tag
Gerne beantworte ich Ihre Frage. Wurde das Unterstützungssetting im Rahmen einer Kindesschutzmassnahme etabliert, kann dazu Folgendes ausgeführt werden: Handelt es sich um eine behördlich angeordnete Kindesschutzmassnahme, dann trifft die zuständige Gemeinde nach § 43 Abs. 5 EG ZGB / AG die Pflicht, die Massnahme zu bevorschussen. Dem Handbuch Soziales des Kantons Aargau ist dazu zu entnehmen, dass die Gemeinde an den Entscheid der Kindesschutzbehörde gebunden ist. Sie hat nicht über die Begründetheit einer Anordnung der Kindesschutzbehörde zu entscheiden, sondern lediglich zu prüfen, wer für die Kosten der angeordneten Massnahmen aufzukommen hat. Insoweit bevorschusst die Gemeinde die entsprechenden Massnahmenkosten in jedem Fall.
Dieser Handbucheintrag stützt sich auf BGE 135 V 134. In diesem Fall entschied das Bundesgericht, dass die Sozialhilfebehörde an den Entscheid der KESB (damals noch Vormundschaftsbehörde) gebunden ist. Sie kann gestützt auf kantonalrechtliche Sozialhilfebestimmungen die Übernahme der Kosten der angeordneten Massnahmen (im konkreten Fall war dies eine Heimplatzierung des Kindes) nicht verweigern. Dies gilt meiner Meinung nach nicht nur dann, wenn die KESB die Kindesschutzmassnahme anordnet und gleichzeitig die Modalitäten (ein bestimmtes Heim zum Beispiel) definiert, sondern auch dann, wenn die KESB der Beiständin das Mandat gibt, für eine umschriebene Kindesschutzmassnahme die Rahmenbedingungen und Finanzierung zu schaffen, ohne sich zu den Modalitäten zu äussern (siehe Kurt Affolter-Fringeli, Örtliche Zuständigkeit zur Finanzierung von Kindesschutzmassnahmen, ZKE 2020 S. 263). Dem Urteil 8C_25/2018 vom 19. Juni 2018 lag ein solcher Sachverhalt zugrunde: Der Beistand organisierte in Absprache mit den Eltern einen Hortplatz. Anschliessend erhielt der Beistand von der KESB das Mandat, die Hortbetreuung der Kinder zu organisieren, zu begleiten und für die Finanzierung zu sorgen (Sachverhalt A). Auch in diesem Urteil entschied das Bundesgericht unter Berufung auf das Kindeswohl, dass die Sozialhilfe verpflichtet ist, die Kosten der KESB-Massnahme sicherzustellen, was sich im Kern bereits aus BGE 135 V 134 ergeben würde (Erw. 4.5). D.h. nicht notwendig erscheint eine Anordnung der KESB, die die Massnahme als auch die Modalitäten definiert. Vielmehr reicht ein Mandat der Beiständin, eine von der KESB definierte Massnahme in Bezug auf die Modalitäten zu konkretisieren.
So wird in der oben erwähnten Bestimmung im Aargauer EG ZG (§ 43 Abs. 5 EG ZGB) im Kapitel 4. Kindes- und Erwachsenenschutz auch in genereller Weise festgehalten, dass Kindesschutzmassnahmen von den Gemeinden zu bevorschussen sind. Liegt also im vorliegenden Fall ein Mandat der KESB vor, welche die Beiständin beauftragt, für die Unterbringung sowie Betreuung zu sorgen, ohne die Modalitäten zu nennen, dann vollzieht die Beiständin eine Kindesschutzmassnahme, welche von der Gemeinde zu bevorschussen ist. Die Gemeinde ist an den Entscheid gebunden. Insoweit hat vorliegend die Gemeinde die Kostengutsprache zu bewilligen bzw. die anfallenden Kosten zu übernehmen, wenn ein entsprechendes Mandat der KESB vorliegt. Liegt kein Mandat der KESB vor, wäre es sinnvoll, dieses umgehend einzuholen.
Aber auch ohne Mandat der KESB darf die Gemeinde die Kosten nicht einfach ablehnen. Sie ist verpflichtet, die Finanzierung im Rahmen der situationsbedingten Leistungen (SIL) zu prüfen. Massgebend ist dafür § 10 SPV / AG in Verbindung mit Kap. C. der SKOS-Richtlinien, Stand 2017. Dabei hat sie zunächst zu entscheiden, ob es sich um eine grundversorgende oder fördernde SIL handelt und ob die Massnahme inhaltlich und kostenmässig verhältnismässig ist. Erachtet sie das Unterstützungssetting ganz oder teilweise als nicht grundversorgend und/oder als unverhältnismässig, dann hat sie ihren Standpunkt zu begründen und auch zu belegen. Dabei hat sie sich mit den für die Massnahme angeführten Argumenten eingehend auseinanderzusetzen, so auch das Handbuch Soziales in Ziff. 2.5.1. Eine pauschale als auch fiskalisch motivierte Ablehnung ist unzulässig und verletzt den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV).
Aus Ihren Schilderungen und aufgrund der dargelegten Rechtslage rate ich Ihnen, den Entscheid der Gemeinde mit Beschwerde anzufechten und durch das zuständige Departement überprüfen lassen (§ 58 SPG / AG). Da der Departementsentscheid nicht sofort ergehen wird, rate ich Ihnen, im Rahmen der Beschwerde auch zu beantragen, dass das Unterstützungssetting für die Dauer des Verfahrens vorsorglich durch die Gemeinde im Rahmen der materiellen Hilfe finanziert wird (vgl. § 46 VRPG). Dabei müssen sie kurz begründen, weshalb das Unterstützungssetting vordringlich ist, ein Zuwarten zu einem nicht leicht wiedergutzumachenden Nachteil (Schaden) führt, und die Beschwerde nicht aussichtslos ist.
Ich hoffe, Ihnen mit diesen Ausführungen Ihre Frage beantwortet zu haben.
Freundliche Grüsse
Ruth Schnyder