Im 2019 wurde eine IV-Anmeldung für Frau, geb. 1976 eingereicht. Die Person ist vor über 10 Jahren aus Afrika in die Schweiz migriert. Ausweis für vorläufige aufgenommene Ausländer (F), 4 Kinder Jg. 1999 / 2001 / 2017 / 2012.
IV teilt im Jahr 2020 mit, dass keine Eingliederungsmassnahmen möglich sind. Die medizinischen Abklärungen haben ergeben, dass spätestens seit September 2018 eine gesundheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorliegt. Der Eintritt des Versicherungsfalls ist folglich im September 2019. Gemäss IK-Auszug ist zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles die erforderliche Beitragszeit für eine Invalidenrente nicht erfüllt, weshalb Ergänzungsleistungen angemeldet wurden.
Auf Aufforderung der AKB wurde anschliessend rückwirkend die AHV-Minimalbeiträge der letzten 5 Jahre nachbezahlt und eine erneute IV-Rentenanmeldung eingereicht.
Mit Vorbescheid informiert die IV nun, dass ein Anspruch auf eine Rente von 50% per Juli 2022 besteht. Abklärungsergebnis: Die IV-Stelle kann auf eine Verfügung zurückkommen, wenn diese zweifellos unrichtigt ist, weil sie den gesetzlichen Vorschriften oder feststehenden Gerichtspraxis widerspricht oder von falschen oder unvollständigen tatbeständlichen Voraussetzungen ausgeht, und wenn die Berechtigung von erheblicher Bedeutung ist. Wie unsere Abklärungen ergeben haben, führte eine Fehlbeurteilung (Nichtberücksichtigung der Erziehungsgutschriften) zum Erlass der vorangehenden Verfügung. Die Rente kann von dem Monat an, in dem der Mangel entdeckt wurde, ausgerichtet werden.
Besteht ein Anspruch auf Sozialversicherungen für die Zeit vor dem IV-Rentenzuspruch?
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Guten Tag!
Ich gehe davon aus, dass das frühere IV-Verfahren 2020 (bei der Ablehnung der Eingliederungsmassnahmen) nachher eingstellt wurde. Weil (fälschlicherweise) von einem Nichtbestehen der versicherungsmässigen Voraussetzungen ausgegangen wurde.
Es besteht somit vorliegend von der Sachverhaltsdarstellung her eine Situation vor gemäss Art. 53 Abs. 2 ATSG: Das heisst, dass auf die ablehnende Verfügung bzgl. IV_Leistungen mit Blick auf die Zeit seit September 2019 zurückgekommen werden kann, wenn dieser Entscheid zweifellos unrichtig war und wenn die Berichtigung von erheblicher Bedeutung war.
Für das Ob dieser Wiedererwägung hat die IV-Stelle Ermessen.
Es geht um einen Rechtsanwendungsfehler, der hier dazu führte, dass davon ausgegangen wurde, dass die versicherungsmässigen Voraussetzungen nicht bestehen, weswegen weitere Abklärungen (EM, aber auch Rente) gar nicht getätigt wurden.
Dabei gilt im Bereich der IV in Art. 88bis Abs. 1 lit. c IVV die Sonderregel, dass die Rente frühestens von dem Monat an gewährt werden kann, wo der Mangel entdeckt wurde (BGE 129 V 433 E. 5.2). Das ist dann der Fall, wenn die Verwaltung Feststellungen gemacht hat, welche das Vorliegen eines relevanten Mangels wahrscheinlich erscheinen lassen. Oder wenn die versicherte Person ein entsprechenden Revisionsgesuch gestellt hat (BGE 129 V 433 E.6.2 und E.6.4).
Ich rate dazu, hier ein Gesuch zu stellen mit dem Namen Revision/Wiedererwägung und dem Antrag, es sei rückwirkend auf den Zeitpunkt der Entdeckung des Mangels eine IV-Rente auszusprechen.
Dabei ist zu beachten, dass dafür auch sicherstehen müsste, dass schon zum damaligen Zeitpunkt die materiellen Voraussetzungen bestanden haben. Namentlich die Gesundheitseinschränkung und deren Auswirkungen.
Ebenso zu beachten ist das genannte Ermessen der IV bzgl. der Vornahme dieser Wiederwägung. Vor diesem HIntergrund ist zu prüfen, einem entsprechenden Gesuch ev. eine informelle mündliche Nachfrage/INformatione, mit der Ankündigung eines Gesuchs, bei der IV-Stelle voranzustellen.
Ich hoffe, das dient.
Prof. Peter Mösch Payot