Guten Tag
Frau C wird vom Kanton Bern aufgefordert, die Krankenkassenprämien ab 2012 (!), Zuzug in den Kanton Bern (aus dem Ausland?) nachzuzahlen. Sie sei damals keiner KK beigetreten.
Ist das so korrekt?
Es ist doch irgendwo auch eine kantonale Aufsichtspflicht verankert?
Wenn der Kanton Bern das erst jetzt merkt, ist es doch auch sein Fehler?
Nach KVG Artikel 6 Abs. 2 muss der Kanton säumige Personen einer Krankenkasse zuweisen. Bei sans papiers ist das wegen Unkenntnis der Daten kaum möglich. Aber Frau C hatte einen regulären Aufenthaltsstatus. Also liegt hier doch nicht nur ein Versäumnis von Frau C sondern auch von der kantonalen Aufsicht vor?!
Gibt es nicht eine Regel, dass solange keine Leistungen gebraucht werden, eine Nachzahlung der Prämien nur für maximal 2 oder 3 Jahre erfolgen müsste?
Vielen Dank im Voraus
M. Blindow
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Sehr geehrter Herr Blindow. Ich warte noch immer auf eine Rückantwort auf eine Anfrage beim BAG, die ich im Zusammenhang mit Ihrer Frage gestellt habe. Am Montag, 21.12. sollte ich diese erhalten und werde dann unmittelbar Ihre Anfrage beantworten.
Beste Grüsse Peter Mösch Payot
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Sehr geehrter Herr Blindow
In Ihrem Fall ist zunächst zu klären, ob und ab wann überhaupt eine Prämienzahlungspflicht besteht. Soweit ein Zuzug 2012 erfolgte, so besteht seit dann eine grundlegende Prämienzahlungspflicht.
Um das genauer abzuklären, wäre im vorliegenden Fall notwendig, die Akten genau durchzusehen. Es ist also zu raten, ein Gesuch auf Akteneinsicht einzureichen.
Bei verspätetem Beitritt beginnt die Versicherung im Zeitpunkt des Beitritts. Bei nicht entschuldbarer Verspätung entrichtet die versicherte Person einen Prämienzuschlag (Art. 5 Abs. 2 KVG; Art. 8 KVV): Bei verspätetem Beitritt (…) entspricht der Prämienzuschlag der doppelten Dauer der Verspätung, höchstens jedoch fünf Jahren. Der Prämienzuschlag beträgt 30 bis 50% der Prämie. Der Versicherer setzt den Zuschlag nach der finanziellen Lage der Versicherten fest. Hat die Zahlung des Prämienzuschlages eine Notlage für die Versicherten zur Folge, setzt der Versicherer einen Zuschlag von weniger als 30% fest und trägt dabei der Lage der Versicherten und den Umständen der Verspätung angemessen Rechnung. Wenn eine Sozialhilfebehörde für die Prämien aufkommt, wird kein Prämienzuschlag erhoben.»
Bei einem Versichererwechsel hat der bisherige Versicherer dem neuen Versicherer den Prämienzuschlag anzugeben. Ein einmal festgelegter Prämienzuschlag bleibt somit auch für spätere Versicherer verbindlich.
Das Bundesverwaltungsgericht hat in einem Urteil vom 25. Februar 2003 (BGE 129 V 267) die Sanktionen bei verspätetem Versicherungsbeitritt u.a. dahingehend präzisiert, dass der Prämienzuschlag nicht in Form eines einmaligen Beitrages erhoben werden darf, sondern als Zuschlag zu den monatlichen Prämien der obligatorischen Krankenversicherung zu entrichten ist. Dieser Prämienzuschlag wird auf der Basis der laufenden Prämien des Versicherten und nicht auf der während der Beitrittslücke gültigen Prämie berechnet. Ausserdem werden Personen, die sich durch unwahre oder unvollständige Angaben usw. der Versicherungspflicht entziehen, mit einer Geldstrafe von bis zu 180 Tagessätzen bestraft, «sofern nicht ein mit einer höheren Strafe bedrohtes Verbrechen oder Vergehen des Strafgesetzbuches vorliegt»
An der Prämienpflicht ändert sich zwar nichts durch allfällige kantonale Versäumnisse der Wahrnehmung der Kontrollpflicht der Unterstellung. Dies könnte höchstens im Rahmen von Treu und Glauben Grundlage sein für eine gewisse Kulanz hinsichtlich der Nachzahlung (Stundung etc.).
Falls die Beiträge gar nie geltend gemacht wurden, und falls nicht eine strafbare Handlung vorliegt (Betrugsversuch etc.) oder schon rechtskräftige Beitragsverfügung bzw. Verlustscheine vorliegen (auch das würde erst aus den Akten erkennbar), so würde die Verwirkungsfrist im Prinzip längstens fünf Jahre betragen. Es könnte aber auch vertreten werden, es sei die Berner Rückerstattungsfrist bzgl. unrechtmässigen Prämienverbilligungen analog anwendbar. Diese beträgt gemäss Art. 27 Abs. 2 EG KUMV drei Jahre. Im Weiteren kann auf Art. 27 Abs. 3 EG KUMV analog verwiesen werden und wegen grosser Härte verlangt werden, dass auf die Nachforderung ganz oder mindestens teilweise verzichtet wird und im Übrigen eine Stundung erfolgen soll.
Weil die Regel in Art. 24 ATSG aber auf Fälle der Vollstreckung nicht anwendbar ist (vgl. SVR 2006 KV Nr. 4; K 99/04, E.2.1.2) könnte hier die Verwirkungs- oder Verjährungsfrist aber anders sein, wenn die Beiträge zuvor schon festgelegt wurden, bzw. wenn ein anderer Sonderfall vorliegt. Auch insoweit würde die Akteneinsicht ev. genauere Auskunft geben.
Ich rate Ihnen, dass die Betroffene Akteneinsicht verlangt und schriftlich darauf verweist,
- dass die Rückforderung begründet und belegt werden soll.
- dass im Umfang der Forderung die Verwirkungsfrist beachtet wird von drei Jahren (nach kant. Recht analog; oder mind. von fünf Jahren gemäss Art. 24 ATSG und Art. 8 KVV).
- dass im Übrigen auf die Forderung ganz oder mind. teilweise verzichtet werden soll, da eine grosse Härte vorliegt und die Person gutgläubig war (die grosse Härte ist mit Angaben zur finanziellen Situation zu belegen, der gute Glaube soweit möglich aus der Gesamtsituation des Betroffenen), und dass ansonsten eine grosszügige Stundung vorgenommen werden soll.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot