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1. Kurzarbeit versus Ferien und 2. Rückwirkend Ferien/Bezug GLA anordnen

Veröffentlicht:
19.05.2020
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Arbeitsrecht

Grüessech mitenand

Ich habe zwei Fragen, die im Zusammenhang mit der "Coronakrise" stehen.

Bei mir hat sich ein Klient betreffend Freitag nach Auffahrt gemeldet. Die Handhabung der Ferien resp. der Kurzarbeit hat in der Belegschaft für Unruhe gesorgt. I.d.R. schliesst die betroffene Firma am Freitag und die Mitarbeiter können "die Brücke" machen. Die Mitarbeiter nehmen einen Ferientag oder kompensieren. Bisher verlief dies problemlos.

Aufgrund der derzeitigen Situation musste die Firma Kurzarbeit anmelden. Innerhalb der Firma hat nicht jede Abteilung Anspruch auf Kurzarbeit. Diejenigen die Kurzarbeit haben, buchen den Freitag auf Kurzarbeit und diejenigen die keine Kurzarbeit haben sollen einen Ferientag/GLAZ beziehen. M.E. ist dies nicht zulässig. Gerne wüsste ich jedoch, wie die genaue rechtliche Situation ist, so dass ich meinen Klienten entesprechenden informieren kann.

Die zweite Anfrage betrifft eine Firma, die ebenfalls Kurzarbeit angemeldet hat. Im April 2020 reichten die Stunden nicht aus, um Kurzarbeitsentschädigung geltend zu machen. Die Angestellten hatten aber unverändert die Weisung, auch im Mai Kurzarbeit zu erfassen. Am 13.5.2020 bekamen die Angestellten dann die neue Weisung, sämtliche Arbeitsstunden des Monats Mai, die bisher über Kurzarbeit gebucht worden waren, nachträglich entweder als GLAZ oder als Ferien zu beziehen und entsprechend umzubuchen. M.E. ist dies nicht zulässig. Auch in diesem Fall würde ich gerne die rechtliche Situation genauer kennen, so dass ich meinen Klienten entsprechend informieren kann.

Freundliche Grüsse

Sarah Dufaux

Beraterin / Sozialarbeiterin FH

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Frage beantwortet am

Kurt Pärli

Expert*in Arbeitsrecht

Sehr geehrte Frau Dufoux

Gerne beantworte ich Ihre beiden Fragen. Vorerst meine Antwortz um Thema Kurzarbeit und Ferienanspruch:

Das Arbeitsverhältnis läuft auch während der Kurzarbeit normal weiter, d.h., die Arbeitgeberin kann den Zeitpunkt der Ferien bestimmen, sie hat aber dabei auf die Bedürfnisse und die Situation des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen (Art. OR 329c Abs. 2 OR). Unter diesen Voraussetzungen ist die Anordnung von Ferien zulässig, die Konsequenzen sind so, dass die Arbeitgeberin während der Ferientage den Lohn zu 100% bezahlen muss. 

Lediglich für Betriebsferien gilt etwas anderes: Gemäss Kreisschreiben zur Arbeitslosenversicherung, ist ein für die Kurzarbeitsentschädigung anrechenbarer Arbeitsausfall nicht anrechenbar, wenn er (der Arbeitsausfall) auf Betriebsferien fällt (siehe unten, D 1 des Kreisschreiben, Art. 33 AVIG und Art. 54/54a AVIV), siehe unterhalb der Signatur zu dieser e-mail und hier: https://www.arbeit.swiss/secoalv/de/home/service/publikationen/kreisschreiben---avig-praxis.html (KAE herunterladen, dann D 1 suchen).

D.h., "normale" Ferien und Kurzarbeitsentschädigung funktioniert, eigentliche Betriebsferien aus den dargelegten nicht. 

Was heisst das nun für Ihren Fall? Die Antwort ist eine typische Juristenantwort.... wenn die "Brücke", d.h., der Freitag zwischen Auffahrtsdonnerstag und dem folgenden Wochenende als "Betriebsferien" qualifiziert wird, kann für diesen Freitag keine Kurzarbeitsentschädigung geltend gemacht werden. Ich kenne hier die Praxis nicht, nehme aber an, dass dieser eine Tag noch nicht als Betriebsferien i.S. des Kreisschreibens gilt.

Ihre eigentliche Frage aber lautet, ob es zulässig ist, dass die einen Mitarbeiter für den Brückentag einen Ferientag anrechnen lassen müssen und die anderen über Kurzarbeit weiterlaufen. Richtig ist,d dass für beide Gruppen ein Ferientag angerechnet wird, die einen laufen über Kurzarbeitsentschädigung, sie erhalten für den Brückentag aber 100% Lohn (und die Arbeiteberin 80% KAE), für die anderen Arbeitnehmer ist es ein normaler Ferientag.

Würde Ihnen mit meinen Ausführungen die Rechtslage klar? Bei Fragen können Sie sich jederzeit erneut ans Forum wenden.

Zur weiten Frage: Die nachträgliche Kompensation von Überstunden bzw. nachträgliche Anordnung von Ferien ist klar unzulässig, siehe dazu den Aufsatz von Geiser/Müller/Pärli im Jusletter, Randziffern 62 f:

3.2.4. Kompensation von Überstunden ^

[62]

Eine Kompensation ist nur im Einverständnis mit dem Arbeitnehmer möglich (Art. 321c Abs. 2 OR).72 Entsprechend kann die Arbeitgeberin grundsätzlich nicht einfach anordnen, Überstunden zu kompensieren, wenn eine Betriebsstörung auftritt. Aus Art. 321 OR ergibt sich aber die Pflicht des Arbeitnehmers, in guten Treuen bei der Kompensation von Überstunden mitzuwirken, d.h. einer Kompensation zuzustimmen, wenn überwiegende Interessen der Arbeitgeberin dies erfordern und keine gewichtigen Interessen des Arbeitnehmers dagegensprechen. In aller Regel wird es dem Arbeitnehmer zumutbar sein, Überstunden zu kompensieren, wenn nun der Betrieb wegen der Pandemie schliesst oder die Arbeit reduzieren muss. Der Arbeitnehmer ist dann auch verpflichtet der Kompensation zuzustimmen.

[63]

Dies hat grundsätzlich auch Folgen für die Anordnung von Kurzarbeit. Nach den allgemeinen Regeln kann die Arbeitgeberin keine Kurzarbeit anordnen, wenn noch Überstunden (in zumutbarer Weise) kompensiert werden können. Auf Grund der vom Bundesrat am 20. März 2020 beschlossenen Massnahmen zur Abfederung der wirtschaftlichen Folgen der Ausbreitung des Coronavirus müssen Arbeitnehmer nicht mehr zuerst ihre Überstunden abbauen.73 (=

  1. https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-78515.html.

 

Das heisst, Kurzarbeit ist möglich auch wenn noch Überstundenguthaben vorhanden sind.

Wie sieht es auf betreffend Ferien?

3.2.6.

Anordnung von Ferien ^

[65]

Den Zeitpunkt der Ferien bestimmt die Arbeitgeberin (Art. 329a OR). Die Arbeitgeberin kann folglich auch im Falle einer Pandemie Betriebsferien anordnen. Der Umstand, dass der Arbeitnehmer wegen der allgemeinen Lage möglicherweise nicht verreisen oder die Ferien in der Schweiz mit üblichen Freizeitaktivitäten verbringen kann, hindert eine solche Anordnung nicht.

[66]

Betriebsferien sind indessen in der Regel drei Monate im Voraus anzuordnen. Das lässt sich bei einer Betriebsschliessung auf Grund von Art. 40 EpG nicht einhalten. Diese Vorlaufszeit von drei Monaten ist aber nur ein Richtwert. Sie soll garantieren, dass der Arbeitnehmer seine Ferien vernünftig organisieren kann. Ferien sind mit Rücksicht auf die Wünsche der arbeitnehmenden Person anzuordnen (Art. 329c OR). Das darf auch kurzfristig erfolgen, sofern der Erholungszweck der Ferien auch kurzfristig gewährleistet werden kann.74

[67]

Allerdings werden im Moment nicht alle Arbeitnehmer bereits einen ausreichenden Anspruch auf Ferien haben. Ferien sind aber grundsätzlich erst zu beziehen, wenn der Anspruch erworben ist. Die Arbeitgeberin kann zwar Betriebsferien auch anordnen, wenn die Arbeitnehmer noch gar nicht den ganzen Anspruch erworben haben.75 Endet das Arbeitsverhältnis dann aber vorzeitig, kann die Arbeitgeberin keinen Rückvergütungsanspruch bezüglich des Ferienlohns erheben. Sie trägt folglich das Risiko, zu viel Ferien bezahlt zu haben.

***

Hier finden Sie den vollständigen Artikel:

https://ius.unibas.ch/fileadmin/user_upload/ius/08_Upload_News/Dokumente/Jusletter_Corona_2020.pdf

Genügen Ihnen diese Auskünfte?

Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen

Kurt Pärli

Grüessech Herr Pärli

Herzlichen Dank für die rasche Stellungnahme betreffend Kurzarbeit, Ferien und GLAZ. Ich habe zwei Verständnisfragen.

Wenn ich Ihre Antwort betreffend Zulässigkeit richtig interpretiere, müssen für den Brückentag Ferien bezogen werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob jemand Kurzarbeit hat oder nicht? Es wird in der Lohnbuchhaltung anders abgerechnet? Derzeit gehen diejenigen mit Kurzarbeit davon aus, dass sie einen Ferientag sparen können. Diejenigen ohne Kurzarbeit fühlen sich ungerecht behandelt. Das hat innterhalb der Belegschaft zu Unruhe geführt. Diesbezüglich war meine Frage zu unklar formuliert.

Ebenfalls betreffend Betriebsferien habe ich eine Verständnisfrage. Die Firma redet nicht von Betriebsferien sondern von sogenannten Ausfalltagen. Zu den Ausfalltagen gehören auch die Tage über Weihnacht/Neujahr. Ich war mir nicht ganz sicher, wie ich "Ausfalltage" interpretieren muss. Vielleicht können Sie mir diesbezüglich Klarheit schaffen.

Ich danke Ihnen für eine Rückmeldung

Freundliche Grüsse, Sarah Dufaux

Frage beantwortet am

Kurt Pärli

Expert*in Arbeitsrecht

Sehr geehrte Frau Dufaux

Zu ihrer ersten Frage: ich habe mich zwischenzeitlich auch hier und dort rumgehört, wie in den verschiedenen Kantonen Konstellationen wie die von Ihnen geschildete Situation gehandhabt werden. Offensichtlich besteht hier keine Einigkeit. Auch ist die Lage unübersichtlich hinsichtlich der Geltung verschiedener Weisungen (einerseits die Seco-Weisungen für die normale Lage und andererseits die Covid-19-Sonderregelungen), es liegt angesichts der enormen Dringlichkeit, mit der die Covid-19 Regelungen erlassen wurden, ein Stück weit in der Natur der Sache, dass hier Widersprüche auftauchen (das betrifft nicht nur Fragen wie die von Ihnen gestellte). Am besten erkundigen Sie sich deshalb beim für die fragliche Unternehmung zuständigen Kanton, wie dort die Frage geregelt wird. 

 

Zu ihrer zweiten Frage: Ich gehe davon aus, dass auch diese Ausfalltage als Betriebsferien im Sinne der Kurzarbeitsentschädigungsweisungen gelten.

mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen - KPärli

Kurt Pärli