Grüessech mitenand
Die erste Frage bezieht sich auf eine Kündigungsandrohung. Meine Klientin arbeitet seit ca. 2 Jahren für denselben Arbeitgeber. Sie arbeitet als Aushilfe im Stundenlohn im Detailhandel. Mittlerweile hat es einen Wechsel in der Führung gegeben.
Gemäss meiner Klientin ist es derzeit schwierig passende Personal zu finden. Sie hat zwei kleine Kinder und arbeitet an 3 Tagen die Woche. Während dieser Zeit ist die Kinderbetreuung gewährleistet.
Im Mai 2021 fand seitens Arbeitgeberin ein Gespräch mit meiner Klientin statt. Sie erhielt ein Schreiben, in dem sie dazu aufgefordert wird flexibler zu sein und es zukünftig nicht mehr möglich sein wird beispielsweise nur an 3 fixen Tagen in der Woche zu arbeiten. Meine Klientin war etwas perplex und hat sich nach reiflicher Überlegung entschieden, das Gespräch mit den involvierten Führungskraften noch einmal zu suchen.
Das zweite Gespräch fand im Juli 2021 statt. Die Arbeitgeberin unterstrich an diesem Gespräch noch einmal den Wunsch nach mehr Flexibilität. In de Gesprächsnotiz wurde am Schluss festgehalten, dass wenn die Klientin die Flexibilität nicht sicherstellen kann, ihr per Ende Oktober 2021 gekündigt wird. Gerüchten zu folge, wird die Kündigung nicht erfolgen, weil derzeit nicht genügend Fachpersonal zur Verfügung steht.
Meine Klientin hat bei der Anstellung mündlich vereinbart zu welchem Prozentsatz und an welchen Tagen sie arbeitet. Schriftlich wurde nichts festgehalten.
Meine Klientin wundert sich derzeit, ob die Kündigungsandrohung in der Art gerechtfertigt war und ob der Arbeitgeber nach rund 2 Jahren Anstellung eine solche Änderung des Arbeitsverhältnisses vornehmen kann. Zudem hat sie angst später, sobald genügend Fachpersonal vorhanden ist, die Kündigung zu erhalten.
Wie sieht die rechtliche Situation aus? Im Anstellungsvertrag wurde nicht geregelt, wieviele Stunden die Klientin wöchtentlich leisten muss.
Die 2. Frage betrifft eine Freistellung von einer Klientin. Ich habe mich im Vorfeld schon ein wenig in ihren Antworten schlau gemacht.
Meine Klientin wurde nach der Kündigung freigestellt (Aufhebungsvereinbarung). Die Frage die sich uns gestellt hat, ist die Frage nach der Krankentaggeldversicherung. Habe ich es richtig verstanden, dass die Krankentaggeldversicherungen dies individuell regeln und meine Klientin bei der KTG nachfragen müsste?
Wie steht es bei einer Freisellung mit dem Anspruch bei der Arbeitslosenkasse? Hat sie mit Einstelltagen zu rechnen? Soweit ich fündig geworden bin, geht die Arbeitslosenkasse bei einer Aufhebungsvereinbarung von einer selbstverschuldeten Arbeitslosigkeit aus. Welche Möglichkeiten hat meine Klientin?
Herzlichen Dank für eine Rückmeldung
Sarah Dufaux
Frage beantwortet am
Kurt Pärli
Expert*in Arbeitsrecht
Sehr geeehrte Frau Dufaux
Gerne beantworte ich Ihre Fragen wie folgt:
Gemäss ihren Angaben wurden zwischen Ihrer Klientin und der Arbeitgeberin
Zwischen Ihrer Klientin und dem Arbeitgeber wurde bei der Anstellung gemäss Ihren Angaben schriftlich kein fixes Pensum vereinbart, hingegen bestand eine mündliche Abmachung, wonach auf die Bedürfnisse der Arbeitnehmerin (fixe Tage wegen Kinderbetreuungspflichten) Rücksicht genommen werde. Während zwei Jahren – so verstehe ich den Sachverhalt – hat ihre Klientin nach diesem Modus gearbeitet. Daraus lässt sich durchaus ableiten, dass sowohl Arbeitspensum als auch Arbeitstage konkludent zum Vertragsinhalt geworden sind.
Nun kann der Inhalt eines einmal abgeschlossenen Vertrages (auch im vorliegenden Fall) in gegenseitigem Einvernehmen auch geändert werden. Die Aufforderung der Arbeitgeberin im Mai 21 zu mehr Flexibilität kann als "Offerte für eine Vertragsanpassung" verstanden werden. Nach einem zweiten Gespräch im Juni 21 wurde der Klientin für den Fall der fehlenden Flexibilität eine Kündigung per Ende Oktober angedroht. Es handelt sich rechtlich gesprochen hier um eine Änderungskündigung, der bisherige Vertragsinhalt soll angepasst werden, falls die Arbeitnehmerin den Vertrag zu den geänderten Bedingungen nicht annehmen will, erfolgt die Kündigung. Solche Änderungskündigungen sind grundsätzlich zulässig, sofern während der Kündigungsfrist noch der bisherige Vertragsinhalt weiter gewährt ist. Vorliegend ist dies der Fall, denn Ihre Klientin befindet sich (nehme ich an) im dritten Dienstjahr, die gesetzliche Kündigungsfrist beträgt zwei Monate, allenfalls wurde vertraglich eine dreimonatige Kündigungsfrist vereinbart, so oder so ist die Frist eingehalten (Änderungen treten ja erst auf Ende Oktober in Kraft).
Wenn ich ihren Sachverhalt richtig verstanden habe, wurde die Kündigung ausgesprochen. Eine Kündigung ist ein einseitiger Rechtsakt, es bedarf dafür kein Einverständnis der gekündigten Person. Von einer Kündigung zu unterscheiden ist die Aufhebungsvereinbarung; hier handelt es sich um "einen Vertrag zur Aufhebung eines Vertrages", erforderlich ist ein Konsens, also die Zustimmung beider Parteien. Sie erwähnen, die Freistellung basiere auf einer Aufhebungsvereinbarung nach der Kündigung. Das ist rechtlich betrachtet unlogisch bzw. unmöglich, denn wie erwähnt endet ein Arbeitsverhältnis entweder durch Kündigung oder durch Aufhebungsvereinbarung. Von der Frage der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu trennen ist die Freistellung nach erfolgter Kündigung. Auch hier sind zwei Varianten möglich: Wird die Freistellung einseitig angeordnet, dann schuldet die Arbeitgeberin während der Dauer der Freistellung gestützt auf Art. 324 OR (Arbeitgeberverzug) den Lohn. Eine Freistellung kann auch in gegenseitigem Einvernehmen erfolgen, Gegenstand des Einvernehmens ist dann auch die Frage, ob während der Freistellung Lohn geschuldet ist. Ich gehe davon aus, dass in ihrem Fall die Arbeitgeberin den Lohn bis Ende Oktober ausrichten wird, denn ihre Klientin wird kaum zu einer Freisteilung ohne Lohnzugestimmt haben.
Nun zu ihren Fragen der Auswirkungen der Kündigung auf die Taggeld- und die Arbeitslosenversicherung.
Taggeldversicherung: Erkundigen Sie sich unbedingt, welche Möglichkeiten ihre Klientin zur Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes hat.
Arbeitslosenversicherung: Nach meiner Einschätzung (aufgrund ihrer Schilderungen) liegt hier eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses vor. Die AlV-Behörden werden bei der Arbeitgeberin nachfragen, aus welchen Gründen das Arbeitsverhältnis gekündigt wurde. Wie weit die mangelnde Flexibilität ihrer Klientin i.S. Arbeitstage als "selbstverschuldete Arbeitslosigkeit" ausgelegt wird und zu Sanktionen (Einstelltage) führt, ist schwierig vorauszusehen. Ein gewisses Risiko besteht, wobei es sicher auch auf die familiäre Situation der Person darauf ankommt (Alter der Kinder, alleinerziehend, Umfeld usw.). Wenn Ihre Klientin indes zu stark betont, dass sie sehr eingeschränkt flexibel ist, besteht das Risiko, dass sie als nicht vermittelbar gilt und somit riskiert, überhaupt keinen Anspruch auf ALV-Leistungen zu erhalten.
Soweit meine Antworten, bei Bedarf stehe ich Ihnen gerne für weitere Auskünfte zur Verfügung. Mit freundlichen Grüssen
Kurt Pärli
Grüessech Herr Pärli
Herzlichen Dank für die ausführliche Antwort.
Ich stelle gerade fest, dass ich mich zu unklar ausgedrückt habe.
Die zweite Frage zur Kündigungsandrohung hat nichts mit der 2. Frage zur Freistellung zu tun. Es sind zwei verschiedene Fälle.
Dies als Rückmeldung. Ich gehe davon aus, dass sich die Antwort bezüglich RAV nicht stark verändern wird, auch wenn es 2 Fälle sind.
Freundliche Grüsse
Sarah Dufaux
Frage beantwortet am
Kurt Pärli
Expert*in Arbeitsrecht
Sehr geehrte Frau Dufaux
Das es sich um zwei Fälle handelte, war mir tatsächlich nicht bewusst bzw. ich war verunsichert, warum im Einen Fall von einer Kündigung und im anderen Fall von einer Aufhebungsvereinbarung die Rede war.
Aber es ist richtig, die ALV-Behörden behandeln die Aufhebungsvereinbarung als Verhalten, das sanktioniert wird (Einstelltage). Siehe dazu AVIG-Praxis ALE Ziffer 216
Akzeptiert die versicherte Person ausdrücklich eine Kündigung, welche die gesetzliche oder vertragliche Kündigungsfrist missachtet (Aufhebungsvertrag), verzichtet sie auf die Weiterführung des Arbeitsverhältnisses, womit keine Ansprüche mehr aus Arbeitsvertrag entstehen können. Ein solches Verhalten kann ebenfalls den Tatbestand der selbstverschuldeten Arbeitslosigkeit erfüllen.
Ziffer 216:
C216 Akzeptiert die versicherte Person ausdrücklich eine Kündigung, welche die gesetzliche oder vertragliche Kündigungsfrist missachtet (Aufhebungsvertrag), verzichtet sie auf die Weiterführung des Arbeitsverhältnisses, womit keine Ansprüche mehr aus Arbeitsvertrag entstehen können. Ein solches Verhalten kann ebenfalls den Tatbestand der selbstverschuldeten Arbeitslosigkeit erfüllen.
Von Bedeutung ist auch Ziffer D 19
Verliert eine versicherte Person ihre Stelle, weil sie den vom Arbeitgeber vorgelegten Arbeitsvertragsänderungen (Änderungskündigung) nicht zustimmen will, ist sie in der Anspruchsberechtigung infolge selbstverschuldeter Arbeitslosigkeit einzustellen, sofern
die Arbeit im Sinne von Art. 16 AVIG weiterhin zumutbar gewesen wäre.
D23 Die Arbeitslosigkeit gilt als selbstverschuldet, wenn die versicherte Person
- das Arbeitsverhältnis von sich aus aufgelöst hat, ohne dass ihr eine andere Stelle zugesichert war, oder
- ein Arbeitsverhältnis von voraussichtlich längerer Dauer von sich aus aufgelöst hat und ein anderes eingegangen ist, von dem sie wusste oder hätte wissen müssen,dass es nur kurzfristig sein wird, es sei denn, dass ihr das Verbleiben an der Arbeitsstelle nicht zugemutet werden konnte.
Eine Stelle gilt erst dann als zugesichert, wenn ein Arbeitsvertrag über einen vorgesehenen Arbeitsbeginn vorliegt.
D24 Eine Auflösung im gegenseitigen Einvernehmen ist als Selbstkündigung zu qualifizieren.
D25 Stellt der Arbeitgeber die arbeitnehmende Person unmissverständlich vor die Wahl,
selbst zu kündigen oder die Kündigung entgegenzunehmen, ist von einer Kündigung
durch den Arbeitgeber auszugehen. Folglich ist bei der Sachverhaltsbeurteilung nicht
nach Art. 44 Abs. 1 Bst. b AVIV vorzugehen, sondern nach Art. 44 Abs. 1 Bst. a AVIV zu
prüfen, ob die arbeitnehmende Person dem Arbeitgeber genügend Anlass gegeben hat,
ihm die Kündigung nahe zu legen.
D26 Eine Selbstkündigung kann nur sanktioniert werden, wenn der versicherten Person das Verbleiben am bisherigen Arbeitsplatz zugemutet werden konnte. Für die Beurteilung der Zumutbarkeit, am bisherigen Arbeitsplatz zu verbleiben, ist ein strenger Massstab
anzuwenden. Überstunden, welche die gesetzlichen Höchstarbeitszeiten nicht überschreiten, Differenzen über die Lohnhöhe, sofern die gesamt- oder normalarbeitsvertraglichen Bestimmungen beachtet werden oder ein gespanntes Arbeitsverhältnis gelten z.B. nicht als unzumutbar. Werden gesundheitliche Gründe angeführt, sind diese durch
ärztliches Attest zu belegen.
Von Bedeutung ist auch die Frage der Kinderbetreuung im Zusammenhang mit der Vermittlungsfähigkeit:
Obhutsnachweis
B225a
Wie die versicherte Person (Mann oder Frau) die Betreuung ihrer Kinder regelt, ist ihr überlassen. Die Durchführungsstellen dürfen nicht schon zum Zeitpunkt der Anmeldung zum Taggeldbezug einen Obhutsnachweis verlangen. Erscheint hingegen im Verlaufe des Leistungsbezuges der Wille oder die Möglichkeit, die Kinderbetreuung einer Dritt-person oder Institution anzuvertrauen erwiesenermassen als zweifelhaft, muss die zu-ständige Amtsstelle die Vermittlungsfähigkeit im Hinblick auf die konkrete Möglichkeit ei-ner Kinderbetreuung prüfen. Dafür hat sie einen Obhutsnachweis mittels Formular Nr. 716.113 zu verlangen. Indizien für die Zweifelhaftigkeit sind namentlich un-genügende Arbeitsbemühungen, Aufgabe der vorangehenden Stelle wegen Betreu-ungspflichten, unhaltbare Anforderungen für die Annahme einer Stelle, Ablehnung zu-mutbarer Arbeit oder nicht erfüllbare Ansprüche an die Arbeitszeiten.
Obhutsnachweis
B225a Wie die versicherte Person (Mann oder Frau) die Betreuung ihrer Kinder regelt, ist ihr überlassen. Die Durchführungsstellen dürfen nicht schon zum Zeitpunkt der Anmeldung zum Taggeldbezug einen Obhutsnachweis verlangen. Erscheint hingegen im Verlaufe des Leistungsbezuges der Wille oder die Möglichkeit, die Kinderbetreuung einer Dritt-person oder Institution anzuvertrauen erwiesenermassen als zweifelhaft, muss die zu-ständige Amtsstelle die Vermittlungsfähigkeit im Hinblick auf die konkrete Möglichkeit ei-ner Kinderbetreuung prüfen. Dafür hat sie einen Obhutsnachweis mittels SECO-
Formular Nr. 716.113 zu verlangen. Indizien für die Zweifelhaftigkeit sind namentlich un-genügende Arbeitsbemühungen, Aufgabe der vorangehenden Stelle wegen Betreu-ungspflichten, unhaltbare Anforderungen für die Annahme einer Stelle, Ablehnung zu-mutbarer Arbeit oder nicht erfüllbare Ansprüche an die Arbeitszeiten.
B225b Die Vermittlungsfähigkeit darf nicht leichthin unter Verweis auf familiäre Betreuungsauf-gaben verneint werden. Dies gilt namentlich dann, wenn eine Person vor Eintritt der Ar-beitslosigkeit bereits den Tatbeweis erbracht hat, dass sie trotz Betreuungsaufgaben ei-ne Beschäftigung auszuüben bereit und in der Lage war, und die bisherige Stelle aus nicht selbst zu verantwortenden Gründen aufgegeben werden musste. Fehlt es mit Blick auf eine erneut angestrebte Vollzeitstelle am Nachweis einer durchwegs gewährleisteten Kinderbetreuung, ist zu prüfen, ob die versicherte Person allenfalls bereit und in der La-ge ist, im Umfang von mindestens 20 % einer Vollzeitbeschäftigung erwerbstätig zu sein. Bejahendenfalls begründet dies den Anspruch auf ALE in reduziertem Umfang (EVG C 29/07 vom 10.3.2008).
Noch etwas Rechtsprechung zum Ganzen:
BGE 8C_367/2008 vom 26.11.2008 (Die Vollzugsstelle darf nicht schon im Zeitpunkt des Einreichens des Entschädigungsgesuches das Vorhandensein eines Kinderhüteplatzes prüfen)
EVG C 115/01 vom 13.5.2002 (Einstellung aufgehoben, weil Arbeitsvertrag nicht zustande kam. Verfügbarkeit nur für Arbeiten ab 17 Uhr im Pflegebereich begründete in diesem Fall keine Vermittlungsunfähigkeit)
BGE C 29/07 vom 10.3.2008 (Der Umstand, dass Versicherte sich im Hinblick auf anderwei-tige, namentlich familiäre Verpflichtungen oder besondere persönliche Umstände lediglich während gewisser Tages- oder Wochenstunden erwerblich betätigen wollen, begründet al-lein noch keine Vermittlungsunfähigkeit)
BGE 8C_367/2008 vom 26.11.2008 (Wenn Eltern betreuungspflichtiger Kinder eine Arbeit in Gegenschicht zum erwerbstätigen Eheteil wünschen, begründet dies allein noch keine Ver-mittlungsunfähigkeit)
Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen
Kurt Pärli