Arbeitsmarkt Fokusartikel

Arbeitsbedingungen in der Sozialen Arbeit. Handlungsmöglichkeiten für Organisationen

Februar 2024

Gute Arbeitsbedingungen sind ein wichtiger Faktor, um dem Fachkräftemangel im Sozialbereich entgegenzuwirken. Gleichzeitig spiegeln sie auch die Werte, die professionelle Soziale Arbeit ausmacht. AvenirSocial hat konkrete Handlungsmöglichkeiten zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen erarbeitet, die in allen sozialen Organisationen verwirklicht werden können.

Die Fachkräftesituation in der Sozialen Arbeit ist seit einiger Zeit angespannt. Um den Sozialbereich als Arbeitsfeld attraktiver zu machen, braucht es unter anderem Verbesserungen der Arbeitsbedingungen für Fachpersonen der Sozialen Arbeit. Längerfristig sind dazu Massnahmen auf politischer und gesetzlicher Ebene nötig, um bessere gesetzliche Grundlagen zu schaffen und den Organisationen mehr Ressourcen zu ermöglichen. 

Weil in der Schweiz jedoch die politischen Mühlen bekanntlich langsam mahlen und zudem politische Entscheide oft nicht primär von fachlichen Argumenten geleitet sind, braucht es gleichzeitig ein starkes gemeinsames Engagement aller Fachpersonen und Organisationen, um – auch mit kurzfristigen Massnahmen – die Situation zu verbessern.  

Der Berufsverband AvenirSocial appelliert an die Organisationen der Sozialen Arbeit, ihre Verantwortung wahrzunehmen und erinnert daran, dass der «Berufskodex Soziale Arbeit Schweiz»1 Fachpersonen dazu auffordert, die Spielräume der gesetzlichen Rahmenbedingungen auszuschöpfen, zum Wohle der Adressat*innen und somit auch für die Bedingungen der Fachpersonen, die mit ihnen arbeiten. 

Handlungsmöglichkeiten für alle Arten Sozialer Organisationen

Die gut 15'000 sozialen Organisationen der Schweiz zeichnen sich durch eine grosse Diversität aus. Sie umfassen sozialpädagogische Familien mit einigen wenigen angestellten Fachpersonen genauso wie Organisationen mit mehreren hundert Angestellten. Auch die Arbeitszeiten und -formen variieren stark, von normalen nine-to-five Arbeitstagen bis zu 30-Stunden-Schichten. Darüber hinaus unterscheiden sich die Organisationen in ihrer Finanzierung und Rechtsform.2 Auch der rechtliche Status – ob öffentlich oder privat – beeinflusst ihre Handlungsmöglichkeiten.  

Vor diesem Hintergrund hat AvenirSocial 2023 eine Broschüre mit zehn Beispielen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen veröffentlicht, die in allen Arten von Organisationen mit mehr oder weniger Aufwand umsetzbar sind. Dieser Artikel greift einige Beispiele exemplarisch auf. Sie sollen nicht aufzeigen, was auf institutioneller Ebene alles fehlt, sondern Fachpersonen und Organisationen mit konkreten Beispielen dazu motivieren, sich für die Grundsätze der Sozialen Arbeit einsetzen.  

Alle ausführlichen Beispiele finden sich auf der Webseite von AvenirSocial.3 

Konkrete Handlungsmöglichkeiten für die Praxis

Die zehn in der Broschüre von AvenirSocial erarbeiteten Beispiele basieren auf Massnahmen, die verschiedene Organisationen in den letzten Jahren erfolgreich umgesetzt haben. In qualitativen Interviews mit Führungspersonen von Organisationen aus verschiedenen Arbeitsbereichen der Sozialen Arbeit wurde herausgearbeitet, welche Faktoren zum Gelingen der Massnahmen beigetragen haben. Die Beispiele haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern sollen anregen, daraus eigene, auf die jeweiligen Rahmenbedingungen zugeschnittene Massnahmen zu entwickeln. Im Folgenden werden diese Beispiele zusammengefasst in vier Aktionsbereichen dargestellt. 

Das Engagement für die Soziale Arbeit fördern

Alle Personen und Organisationen der Sozialen Arbeit sind aufgefordert, für die Grundsätze unserer Profession einzustehen. Führungspersonen sind dabei in einer besonderen Position. Einerseits müssen sie dafür sorgen, dass ihre Organisation die Grundwerte Sozialer Arbeit nach aussen hin vertritt und sie gegenüber Träger*innenschaften einfordert. Andererseits sind sie auch dafür verantwortlich, dass ihre Mitarbeitenden sich für diese einsetzen und sie in der Praxis umsetzen können. Dafür braucht es den Willen, dies zu tun und es setzt voraus, dass sie über genügend Wissen verfügen.  

Um das berufspolitische Engagement der Mitarbeitenden zu fördern, hat eine Organisation verschiedene Möglichkeiten. So kann sie etwa allen Fachpersonen eine fixe Anzahl Stunden (zum Beispiel 1h pro Woche) zur Auseinandersetzung mit aktuellen politischen Themen zur Verfügung stellen. Um den Nutzen für alle Mitarbeitenden zu vergrössern, wird empfohlen, sich regelmässig über die Inhalte dieser Auseinandersetzungen auszutauschen. Sollte dies aus Zeitgründen nicht möglich sein, kann eine Organisation sich auch am Engagement der Fachpersonen ausserhalb der Arbeitszeit beteiligen, in dem sie beispielsweise die Mitgliedschaft im Berufsverband oder einer Gewerkschaft finanziell unterstützt.  

Mit solchen Massnahmen wird die in der Sozialen Arbeit entscheidende Sinnstiftung der Arbeit weiter gefördert. Je mehr sich Fachpersonen mit den Werten der eigenen Organisation identifizieren können, desto höher ist ihre Motivation, als Arbeitnehmende dort zu bleiben, was die Nachhaltigkeit einer Anstellung verbessert. Eine Organisation, die sich transparent und politisch für die Grundsätze der Sozialen Arbeit engagiert, zeigt ihren Mitarbeitenden, dass sie gemeinsame Ziele haben. Dies sind zwar hohe Ansprüche an eine Organisation, die Mitarbeitenden werden dies aber mit Engagement und hoher Arbeitsqualität honorieren.4 

Auf individuelle Bedürfnisse zur Gestaltung der Arbeitszeit eingehen

Die Lebensrealitäten und entsprechend die Bedürfnisse von Fachpersonen sind verschieden. Eine Organisation, die bei der Arbeitsplanung auf die individuellen Interessen der Fachpersonen eingehen kann, fördert die Zufriedenheit am Arbeitsplatz. Eine konkrete Möglichkeit dazu ist, den Mitarbeitenden unbezahlten Urlaub zu ermöglichen. Dies führt ohne finanziellen Mehraufwand dazu, dass Mitarbeitende Interessen neben der Lohnarbeit verfolgen können, ohne dabei die Sicherheit ihrer Anstellung aufgeben zu müssen. Natürlich bedingt dies eine grössere Flexibilität der Organisationen bei der Arbeitsplanung. Weitere Möglichkeiten zur Flexibilisierung der Arbeitszeit sind zum Beispiel Homeofficemöglichkeiten, weniger fixe, mehr selbst planbare Arbeitszeiten und die Ermöglichung unterschiedlicher Pensen, beziehungsweise deren Aufstockung oder Rückstufung. So gut dies auch klingen mag, bergen solche Massnahmen auch die grosse Gefahr, dass sie auf Kosten des Gesundheitsschutzes umgesetzt werden, zum Beispiel indem keine Pausen gemacht werden oder nicht alle Stunden aufgeschrieben werden. Es ist also elementar, sich bei der Umsetzung an die Vorschriften im Arbeitsgesetz zu halten, auch wenn dieses in gewissen Bereichen der Sozialen Arbeit nicht gültig ist.5

Hierarchien abbauen und Transparenz fördern

Die bereits erwähnte Sinnstiftung kann auch gefördert werden, indem möglichst viele Entscheide von den Mitarbeitenden getroffen werden, statt von Führungspersonen. Dazu braucht es ein modernes Führungsverständnis, das bestrebt ist, Hierarchien wo möglich abzubauen. «Eine Unternehmung, deren Geschäft die Förderung von Teilhabe und Teilnahme aller an der Gesellschaft ist, verpflichtet sich damit auch zu einer möglichst umfassenden Partizipation der Mitarbeitenden an der Gestaltung der eigenen Organisation. Dort wo ‚Einsatz für Soziale Gerechtigkeit‘ draufsteht, muss auch Fairness und Transparenz drin sein», meint der Führungsexperte Herzka.6 Eine konkrete Möglichkeit, diese Transparenz zu fördern, ist ein für alle einsehbares Führungshandbuch. Darin werden die gemeinsam mit dem Team erarbeiteten Prozesse, zum Beispiel wie ein Mitarbeitendengespräch abläuft, festgehalten.

Genügend Ressourcen zur Prozessgestaltung bereitstellen

Es gibt einige Prozesse, für die es sich lohnt, mehr zeitliche und finanzielle Ressourcen zu investieren, als dies standardmässig gemacht wird. Dazu zählt für AvenirSocial etwa die Einarbeitung von neuen Mitarbeitenden. Die Arbeit in der Sozialen Arbeit ist inhaltlich komplex und bedeutet oft, dass man Beziehungen zu den Menschen von Grund auf neu aufbauen muss. Dies bedingt eine genügend lange und gut begleitete Einarbeitungszeit. Wer mehr in Onboarding investiert, wird weniger Fluktuation ernten. Ein anderes Beispiel ist die voranschreitende Digitalisierung, die es ermöglicht, insbesondere administrative Prozesse effizienter zu gestalten. Im besten Fall haben Fachpersonen dadurch mehr Zeit für ihre Kernaufgaben zur Verfügung. Der Digital-Check7 von Sozialinfo erlaubt es Organisationen, zu erkennen, wo sie stehen und zeigt ihnen Optimierungsmöglichkeiten auf. 

Gemeinsam für die Grundprinzipien einstehen

Neben der Umsetzung diverser Massnahmen in den Organisationen braucht es nun auch ein gemeinsames Engagement von Fachpersonen, Organisationen und politischen Entscheidungsträger*innen für zukunftsfähige Arbeitsbedingungen. Das Ziel unserer Profession ist es, sozialen Wandel anzustossen, Problemlösungen in zwischenmenschlichen Beziehungen zu ermöglichen und die Ermächtigung und Befreiung von Menschen zu fördern.8 Dies erreichen wir nur mit guten Arbeitsbedingungen und indem alle Ebenen gemeinsam für sie einstehen. 

1 AvenirSocial (2010): Berufskodex Soziale Arbeit Schweiz

2 AvenirSocial: Diskussionspapier zur Finanzierung von Organisationen im Bereich der Sozialen Arbeit in der Schweiz

3 AvenirSocial: Handlungsmöglichkeiten für Organisationen. 10 konkrete Praxisbeispiele wie Arbeitsbedingungen in Organisationen verbessert werden können

4 Vgl. Herzka, Michael (2013): Führung im Widerspruch, Wiesbaden, Springer VS. S.221.

AvenirSocial (2019): Arbeitszeit, Ruhezeit und Entlöhnung bei Pikett- und Bereitschaftsdienst in der Sozialen Arbeit in der Schweiz.  

6 Vgl. Herzka, Michael (2013): Führung im Widerspruch, Wiesbaden, Springer VS. S. 127-128

7 Sozialinfo: Digital-Check

8 IFSW: Global Definition of Social Work

TOBIAS BOCKSTALLER

Verantwortlicher Fachliche Grundlagen bei AvenirSocial, Berufsverband Soziale Arbeit Schweiz
t.bockstaller@avenirsocial.ch


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