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Leichte Sprache: inklusiv oder stigmatisierend?

Juni 2020

Behörden und Organisationen verwenden oft eine komplizierte Sprache. Für Menschen mit einer Leseschwäche stellt dies eine unüberwindbare Hürde dar. Leichte Sprache kann hier helfen, Barrieren zu überwinden.

Verwaltungen, Versicherungen und Medien stellen ihre Informationen zunehmend nur noch online zur Verfügung. Und leider sind diese Informationen nicht immer in einer einfachen und verständlichen Sprache formuliert. Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen, Menschen mit einer vorübergehenden Sprachstörung oder Fremdsprachige stellt dies vor besonders hohe Hürden.  Und das sind nicht wenige. Das Bundesamt für Statistik hat in der Studie «Adult Literacy and Lifeskills» (ALL) von 2006 festgestellt, dass in der Schweiz rund 800 000 erwachsene Personen grosse Schwierigkeiten haben, einen einfachen Text zu lesen und zu verstehen.

Für die Teilhabe an einer Gesellschaft und vor allem für eine möglichst selbstständige Bewältigung des Alltags ist Information jedoch zentral. Die UN-Behindertenrechtskonvention definiert denn auch das Recht auf Zugang zu Informationen. Nicht zuletzt deshalb gibt es in der Schweiz zunehmend Bemühungen, Informationen in Leichter Sprache zur Verfügung zu stellen.

Nutzer*innen sind Expert*innen

Leichte Sprache bedeutet, dass eine sehr einfache Sprache verwendet wird. Im deutschsprachigen Raum hat das „Netzwerk Leichte Sprache“ ein Regelwerk für Leichte Sprache verabschiedet. So wird in der Leichten Sprache auf die Verwendung des Konjunktiv, des Genitivs  und auf Passivsätze verzichtet. Die Sätze sind kurz und einfach, Fotos und Bilder werden benutzt, um Texte zu erklären. Ein weiteres Prinzip ist, dass die Texte vor der Veröffentlichung von potentiellen Nutzer*innen gegen gelesen und auf ihre Tauglichkeit hin geprüft werden.

Leichte Sprache vs einfache Sprache

Während die Leichte Sprache nur Sätze mit maximal acht Wörtern erlaubt, sind es bei der einfachen Sprache bis zu fünfzehn Wörter. In der Praxis werden dazu, in Anlehnung an die gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen, drei Niveaus unterschieden: A1, A2, B1. In diesem Modell entspricht die Leichte Sprache dem Niveau A1 und A2, während die einfache Sprache dem Niveau B1 entspricht. Anders als bei der Leichten Sprache gibt es für die einfache Sprache kein Regelwerk. Die Sätze sind länger und Nebensätze sind zulässig.

Leichte Sprache deckt nicht alle Bedürfnisse ab

Kritiker*innen der Leichten Sprache monieren, dass die Verwendung von Leichter Sprache unbeabsichtigt auch zu Exklusion führen kann. Leichte Sprache will klar und verständlich sein und bedient sich deshalb der Simplifizierung. Dies trifft in abgeschwächter Form auch auf die einfache Sprache zu, die etwas längere Sätze zulässt. Das kann jedoch dazu führen, dass sich Nutzer*innen mitunter nicht ernst genommen fühlen. Da die Lebenswelt von Empfänger*innen von Leichter Sprache sehr unterschiedlich aussieht, kann sich auch das jeweilige Textverständnis je nach Zielgruppe unterscheiden. Zum Beispiel kennt jemand, der sich ausgiebig mit Fussballspielen auskennt, bestimmte Begriffe und braucht keine weiteren Erklärungen dafür. Jemand anderes jedoch schon.

Auch die spezielle Schreibweise kommt nicht bei allen gut an. In der Leichten Sprache werden lange, zusammengesetzte Worte mit Fugen-s mit einem Bindestrich (Gleichstellungs-Gesetz) oder mit einem sogenannten Mediopunkt getrennt (Velo·wege). Das sind neu geschaffene Grammatikregeln, die ein exklusives Erkennungsmerkmal darstellen. Die Schaffung einer speziellen Sprache ist für die Inklusion jedoch nicht unbedingt förderlich. Kritisiert wird etwa auch eine paternalistische und defizitorientierte Sichtweise. So würden Befürworter*innen der Leichten Sprache zu wenig berücksichtigen, dass alle Menschen mit einer entsprechenden Förderung ihre sprachlichen Fähigkeiten verbessern können.   

Doch ungeachtet dieser kritischen Punkte wird es immer Personen geben, die ihre sprachlichen Fähigkeiten nicht oder nur sehr beschränkt weiterentwickeln können. Gerade Betroffenenorganisationen wie Insos oder Pro Infirmis setzen sich für die Förderung Leichter Sprache ein. Information in Leichter Sprache kann Barrieren abbauen, die Partizipation fördern und ermöglicht den Betroffenen ein selbstständiges Leben. Ein positiver Effekt ist weiter, dass die Öffentlichkeit für Anliegen von Menschen mit geringeren Lesekompetenzen sensibilisiert wird. Daneben ist es natürlich weiterhin wichtig, dass Organisationen, Verwaltungen und Fachpersonen komplexe Sachverhalte in einem Gespräch erklären.

Aktuelle Beispiele für Leichte Sprache in der Schweiz

Das Büro für Leichte Sprache der Pro Infirmis Zürich bietet seit 2015 Übersetzungen in Leichte Sprache an. In Basel tut dies das Büro Leichte Sprache des Wohnwerks Basel. Daneben gibt es privatwirtschaftliche Firmen, die in diesem Bereich Dienstleistungen anbieten, wie etwa Capito oder Supertext.

Die Hochschule für Soziale Arbeit FHNW hat im 2018 unter anderem eine Kesb-Broschüre in Leichte Sprache übersetzt und zusammen mit verschiedenen Gemeinden publiziert. Die Hochschule bietet auch ein Fachseminar zum Thema an.

Insieme hat im Hinblick auf die Wahlen im Herbst 2019 eine Wahlbroschüre in Leichter Sprache publiziert.

Das Bundesamt für Gesundheit hat die Informationen zum Corona-Virus in Leichte Sprache aufgeschaltet.

Vor kurzem haben zudem zwei Redakteurinnen eine Newsplattform mit Newsbeiträgen in Leichter Sprache aufgebaut. Auf der Website infoeasy-news.ch übersetzen sie Nachrichten aus verschiedenen Quellen in Leichte Sprache. Der Zugang ist zurzeit noch kostenlos. Die Autor*innen arbeiten ehrenamtlich und nehmen Spenden entgegen.

SZH/CSPS

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, 2/2019: Behinderung und Sprache

Sprache als Schlüssel zur Partizipation Grundlegende Aspekte zur Unterstützten Kommunikation Qualitätsmerkmale zu Unterstützter Kommunikation in Organisationen. Eine Checkliste für Leitungspersonen Fachwissen in Leichter Sprache. Leichte Sprache in der Aus- und Weiterbildung von Heilpädagoginnen und Heilpädagogen sowie Logopädinnen und Logopäden Leichte Sprache. Ein Praxiskonzept verbreitet sich in der Schweiz Warum es für Barrierefreiheit auch «Leichte Gebärdensprache» braucht. Beobachtungen aus der Praxis und Überlegungen für die Forschung Die Begleitung von Lernenden mit spezifischen Sprachentwicklungsstörungen Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen in der Regelschule. Gelingensbedingungen für erfolgreiche (Sprach-)Förderung und Kooperation zwischen beteiligten Fachpersonen


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