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Corona Tracing-App: eine technische Lösung der Krise?

Mai 2020

Mit der Einführung einer Tracing-App sind grosse Hoffnungen verbunden, die Corona-Krise in den Griff zu bekommen und das soziale Leben wieder normalisieren zu können. Den hohen Erwartungen stehen aber auch Bedenken gegenüber, was Datenschutz, aber auch schlicht den Nutzen betrifft.

Am vergangenen Montag, 25. Mai 2020 hat der Bundesrat die neu entwickelte "SwissCovid App" in die Pilotphase geschickt. Ende Juni soll die App dann für alle freigegeben werden. Die dadurch gewonnenen Daten sollen helfen, den flächendeckenden Lockdown durch gezielte, örtlich und personell begrenzte Massnahmen zu ersetzen.

Über Nutzen und Gefahren, wie auch über verschiedene technologische Ansätze gibt es bereits eine grössere nationale und auch internationale Debatte. Wir bieten Ihnen eine Übersicht über die wichtigsten Fragen.

Wie funktioniert die SwissCovid App?

Die SwissCovid App registriert sämtliche Kontakte mit anderen Personen, die sich  während mehr als insgesamt 15 Minuten pro Tag in einem Abstand von weniger als zwei Metern befinden. Diese Messung basiert auf der Bluetooth-Technologie. Die Daten werden dabei so verschlüsselt, dass keine Rückschlüsse auf Personen möglich sind. Die Kontaktdaten werden auf dem Gerät selbst gespeichert; es gibt somit keine zentrale Speicherung der Kontaktdaten. Wenn eine Person positiv auf das Coronavirus getestet wird, erhält sie einen Code, mit dem sich die Benachrichtigungsfunktion der App aktivieren lässt. Dadurch werden alle anderen App-Benutzer*innen, mit denen die infizierte Person Kontakt hatte, automatisch informiert. Die Daten werden nach 21 Tagen wieder gelöscht.

Was ist Contact Tracing?

„Beim herkömmlichen Contact Tracing der kantonalen Behörden werden infizierte Personen per Telefon kontaktiert und alle zurückliegenden Kontakte rekonstruiert. Konkret sucht man im Umfeld einer an Covid-19 erkrankten Person nach weiteren Personen, die mit ihr in engem Kontakt standen, um diese auf eine mögliche Ansteckung hinzuweisen, zu beraten und sie allenfalls einer medizinischen Abklärung und Behandlung zuzuweisen.„ (BAG)

Wie gross ist der Nutzen?

Die via App gelieferten Daten sollen eine gezielte Unterbrechung von Infektionsketten ermöglichen, indem Personen benachrichtigt werden, wenn sie Kontakt mit einer infizierten Person hatten. Diesen Personen wird dann eine freiwillige Quarantäne empfohlen. Wie gross der tatsächliche Nutzen dieser Methode ist, ist eine offene Frage.

Kritik betrifft etwa die zu erwartende Unsicherheit bei positiven Benachrichtigungen. Eine Benachrichtigung via App bedeutet keine Ansteckung. Sie bedeutet nur, dass sich die Person im Kontakt mit einer infizierten Person befunden hat. Die Möglichkeit, dass sich jemand in diesem Fall testen lassen kann, wie etwa Amnesty International vorschlägt, ist zurzeit in Diskussion. Problematisch ist auch die Empfehlung, sich bei Benachrichtigung in eine freiwillige Quarantäne zu begeben, solange nicht geklärt ist, ob in diesem Fall ein Anspruch auf Lohnfortzahlung besteht.

Klar ist, dass Tracing via App das herkömmliche Contact-Tracing via Telefon nicht ersetzt.  Zudem ist es wichtig, dass die Nachverfolgung via App mit anderen Massnahmen wie Testen, Isolation und Zugang zu Gesundheitsversorgung verknüpft wird.

Wie steht es mit der Freiwilligkeit?

Eine Tracing-App wirkt umso besser, je mehr Personen sie benützen. Dass die Benutzung trotzdem freiwillig bleiben muss, darüber besteht weitgehende Einigkeit. Die Freiwilligkeit bezieht sich dabei nicht nur auf die Installation und Aktivierung der App, sondern auch auf die Aktivierung der Benachrichtigungsfunktion im Falle einer Infektion. Im Gesetzestext wird ausserdem explizit ausgeschlossen, dass Dienstleistungen von der Verwendung der App abhängig gemacht werden.

Dass gar nicht alle Personen über in Smartphone verfügen, wird am Rande als weiterer Grund für die Freiwilligkeit erwähnt. In der Schweiz betrifft dies rund 10% der Bevölkerung. Dieser Punkt könnte gerade für armutsbetroffene Menschen bedeutsam sein. Zum einen entlastet die Freiwilligkeit diese Personen, zum anderen kann das aber auch eine Erfahrung fehlender Teilhabe bedeuten. Dass ihnen diese Möglichkeit verwehrt bleibt, sich über eine mögliche Ansteckung informieren zu können, kann zudem ein Gefühl von Unsicherheit auslösen.

Was sind die Risiken für die Datensicherheit und Privatsphäre?

Nebst dem Zweifel, ob eine solche Apps den gewünschten Nutzen bringt, hegen Kritiker*innen auch Bedenken darüber, dass sie die Privatsphäre gefährden und der Überwachung der Gesellschaft Vorschub leisten. Bei dieser Frage steckt der Teufel in den technischen Details. Grosse Kritik betrifft in der aktuellen Debatte etwa das paneuropäische Software-Projekt PEPP-PT, auf dessen Grundlage unterschiedliche nationale Apps entwickelt werden sollen. PEPP-PT ist jedoch auf eine zentralisierte Datenspeicherung ausgerichtet, womit sich grosse Fragen betreffend Datenschutz und Datensicherheit stellen.

Die schweizerische App beruht hingegen auf dem Protokoll DP-3T, das auf dezentralisierte Datenspeicherung setzt. Ein anderer wichtiger Punkt, dem Rechnung getragen wird, ist die „Datensparsamkeit“. Damit ist gemeint, dass nur diejenigen Daten gesammelt werden, die auch tatsächlich gebraucht werden. 

Fazit

Mit der SwissCovid App  hat die Schweiz im Eiltempo eine Corona-App lanciert, die im Hinblick auf die per 6. Juni 2020 geplanten Lockerungen einen guten Beitrag leisten könnte, um gezielt dort intervenieren zu können, wo es nötig ist. Vor zu hohen Erwartungen wird allerdings auch von Behördenseite gewarnt; der konkrete Nutzen muss sich erst noch erweisen.

Mit der Freiwilligkeit der Nutzung, mit der dezentralen Datenspeicherung und der Anonymisierung der Daten umschifft die SwissCovid App die wichtigsten Klippen und genügt der Anforderung, dass digitale Überwachung zur Bekämpfung des Coronavirus keine Menschenrechte untergraben darf. Bleibt der Einwand, der man immer machen kann: „Was, wenn die Situation gebietet, diese Freiwilligkeit aufzugeben? Wer gebietet eigentlich darüber, was die Situation ‚gebietet‘“

Dokumentation

Amnesty International Schweiz Digitale Gesellschaft

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Die vom Bundesrat auf den Weg gebrachte Contact Tracing-App berücksichtigt die Forderungen der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft bezüglich Privatsphäre und Datenschutz weitgehend. Dennoch bleiben wichtige Fragen offen. Dies stellen Amnesty International, die Digitale Gesellschaft und die Stiftung für Konsumentenschutz in einer gemeinsamen Erklärung an Bundesrat Berset und das Bundesamt für Gesundheit BAG fest.

NZZ Online

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