Fachinformationen Fokusartikel

Beschleunigte Asylverfahren: noch nicht am Ziel

September 2021

Das Staatssekretariat für Migration (SEM) zieht eine positive Bilanz zum neuen Asylverfahren, das vor rund zweieinhalb Jahren eingeführt wurde. Unabhängige Organisationen, die sich für die Rechte Asylsuchender einsetzen, teilen diese Einschätzung nur bedingt.

Mit dem revidierten Asylgesetz, das am 1. März 2019 in Kraft trat, wurde der Asylbereich umstrukturiert. Ein wesentlicher Teil der Asylgesuche Mittels wird heute im Rahmen eines beschleunigten Asylverfahrens bearbeitet. Die Asylverfahren sollen jedoch nicht nur effizienter und damit kostensparend, sondern auch rechtsstaatlich korrekt durchgeführt werden. Unter anderem wurde deshalb das Recht auf unentgeltlichen Rechtsbeistand für Asylsuchenden eingeführt.

Evaluation nach 2 Jahren

Im August hat das SEM zwei Evaluationsberichte zum beschleunigten Verfahren vorgelegt, die im Rahmen des Projekts PERU (Prozessqualität, Entscheidqualität und Rechtsschutz) erarbeitet wurden. Im Bericht zum Teilprojekt 1 untersuchte die Arbeitsgemeinschaft von Egger, Dreher & Partner AG und Ecoplan AG die Verfahren und Prozesse. Im Bericht zum Teilprojekt 2 evaluierte das Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte (SKMR) die Qualität der erstinstanzlichen Asylentscheide und die Gewährung des Rechtsschutzes. Die Resultate dieser externen Evaluation liegen nun vor. Mit diesen Berichten zieht das SEM eine positive Bilanz zum neuen Asylregime.

Teilprojekt 1: Prozessqualität

Der Bericht zum Teilprojekt 1 (Prozessqualität) kommt zusammenfassend zum Schluss, dass zwar die Zielvorgaben bezüglich Verfahrensdauer noch nicht ganz erreicht werden. Die Dauer bis zum erstinstanzlichen Entscheid dauert im Schnitt noch rund 49 Tage; angestrebt werden 21 Tage. Bei der daran anschliessenden «Taktenphase» wurde die Vorgabe von 8 Tagen jedoch in fast allen Fällen eingehalten. Des Weiteren kann gemäss Bericht ein deutlich höherer Anteil der Fälle beschleunigt bearbeitet werden, als im früheren Betrieb (32 Prozent gegenüber 8 Prozent). Die Autor*innen geben Empfehlungen ab, wie die Dauer der Verfahren weiter beschleunigt werden können.

In Bezug auf die Rechtsvertretung (RV) konstatiert der Bericht gewisse Konflikte, die auf ein unterschiedliches Rollenverständnis zurückzuführen seien. Dabei gehe es «insbesondere um die Frage, wieweit die Aufgabe der RV als Interessenvertreter und Anwälte der Asylsuchenden geht, resp. ob die Aufgabe primär in der Gewährung eines rechtsstaatlich korrekten Verfahrens» liege.

Keine systematischen Probleme ortet der Bericht hinsichtlich der Leistungserbringung der Betreuung und der Sicherheit, das heisst im Bereich der Unterbringung, Verpflegung, Bildung, Beschäftigung und der Gesundheit in den BAZ. Bezug auf die in den Medien aufgezeigten problematischen Zustände in den BAZ nimmt der Bericht nicht.

Teilprojekt 2: Rechtsschutz und Qualität der Entscheide

Im Bericht zum Teilprojekt 2 beurteilt das SKMR die Qualität der Entscheide im beschleunigten Verfahren insgesamt als «zufriedenstellend», stellt aber auch Problemfelder fest. So orten die Autor*innen teilweise Mängel bei der Sachverhaltsabklärung. Den Grund sehen sie im Zeitdruck, der dem Bemühen geschuldet sei, möglichst viele Fälle im beschleunigten Verfahren abzuhandeln. Ungenügende Abklärungen des Sachverhalts führten jedoch oft zu einer falschen Triage. Um komplexe Fälle sorgfältig prüfen zu können, brauche es das erweiterte Verfahren. Bei einigen der untersuchten Dossiers wurden zudem formale Fehler oder Entscheid mit juristischen Mängeln festgestellt.

Die Umsetzung des Rechtsschutzes beurteilt das SKMR als «gut». Kritische Punkte gibt es allerdings auch hier, so etwa das bereits auch im ersten Bericht angesprochene unklare Rollenverständnis der Rechtsvertreter*innen, oder die teilweise nicht fristgerechte Information der Betroffenen über Entscheide. Dies ist besonders problematisch, da die Beschwerdefristen im Verfahren sehr kurz sind.

Zu diesen und weiteren kritisierten Punkten hat das SKMR im Bericht Empfehlungen zuhanden des SEM formuliert.

Kritik an der Evaluation

Zum neuen Asylverfahren, wie auch zur aktuellen Evaluation im Rahmen des PERU-Projektes, haben sich Organisationen, die sich für die Rechte von Asylsuchenden einsetzen, kritisch geäussert. Das «Bündnis unabhängiger Rechtsarbeit im Asylbereich» kritisiert, dass nur die beschleunigten Verfahren untersucht wurden, nicht aber die Dublin- und die erweiterten Verfahren. Ebenfalls nicht berücksichtigt worden sei die Situation besonders vulnerabler Personen. Zudem seien für die Evaluation keine Betroffenen befragt worden. Damit sei die Evaluation unvollständig. So könne beispielsweise nicht festgestellt werden, ob durch die Begleitung einer Rechtsvertretung die Akzeptanz eines negativen Entscheids bei den Betroffenen besser werde.

Kritik am beschleunigten Verfahren

Für das Bündnis ist die Beschleunigung kein Gütekriterium. Im Gegenteil. Das Verfahrenstempo sei klar zu hoch: «Hohes Tempo führt zu Fehlentscheiden». Es sei alarmierend, wenn in 40 von 120 Dossiers Fehler gefunden würden. Da im Asylverfahren nichts Geringeres als die Existenz von Asylsuchenden auf dem Spiel stehe, reiche es nicht, wenn das SKMR die Qualität der Entscheide nur als «zufriedenstellend» qualifiziere, und nicht etwa als «gut» oder «sehr gut».

Situation in Bundesasylzentren wird kaum thematisiert

Obwohl die BAZ in den vergangenen Monaten wiederholt medial thematisiert wurden, gehen die Berichte darauf kaum ein. Das Bündnis hingegen erwähnt die «prekäre Situation in den Zentren ohne Verfahrensfunktion» in ihrer Stellungnahme. Diese lägen oft an sehr peripheren Orten, so dass für Asylsuchende kaum möglich ist, externe Beratung aufzusuchen. Gleichzeitig seien auch Rechtsvertreter*innen in diesen Zentren nur selten vor Ort und verfügbar.

Organisationen wie die Schweizerische Flüchtlingshilfe oder das Bündnis unabhängiger Rechtsarbeit im Asylbereich sehen grossen Handlungsbedarf bei der Umsetzung des neuen Asylverfahrens. Die wichtigsten Forderungen des Bündnisses finden Sie hier.

 

SEM

Evaluation PERU: Teilprojekt Prozessqualität. Schlussbericht (Kurzfassung)

Mit Inkrafttreten des revidierten Asylgesetzes per 1. März 2019 (nAsylG) wurden neue Asylverfahren eingeführt, mit denen eine deutliche Beschleunigung und gleichzeitig rechtstaatlich korrekte Abwicklung derselben angestrebt wird. In diesem Zusammenhang hat das SEM eine aus zwei Teilen bestehende externe Evaluation von Prozessqualität, Entscheidqualität und Rechtsschutz im Rahmen der Umsetzung des revidierten Asylgesetzes (PERU) in Auftrag gegeben.

SKMR

Evaluation PERU Rechtsschutz und Entscheidqualität Schlussbericht (Kurzversion)

Das SEM hat das Schweizerische Kompetenzzentrum für Menschenrechte (SKMR) mit einer externen Evaluation des Rechtsschutzes und der Entscheidqualität bei der Anwendung des neuen Asylverfahrens beauftragt. Die Evaluation erfolgte im Rahmen des Teilprojekts 2 des Projekts PERU, welches Prozessqualität, Entscheidqualität und Rechtsschutz im Rahmen der Umsetzung des revidierten Asylgesetzes untersuchte. (Das Teilprojekt 1 hat demgegenüber die Prozessqualität zum Gegenstand).

Bündnis unabhängiger Rechtsarbeit im Asylbereich

Zur Neustrukturierung des Asylbereichs: Bilanz zu einem Jahr der Umsetzung

Analyse des Bündnisses unabhängiger Rechtsarbeit im Asylbereich

Seit dem 1. März 2019 ist die «Neustrukturierung Asylbereich» in Kraft. Das «Bündnis unabhängiger Rechtsarbeit im Asylbereich» unterzieht nun diese Neustrukturierung über den Zeitraum von einem Jahr (01.03.2019 – 29.02.2020) einer genauen Analyse.

Schweizerische Flüchtlingshilfe SFH

Neues Asylverfahren: Qualität muss weiter verbessert werden

Tempo und Zeitdruck beeinträchtigen Fairness und Qualität der Asylverfahren: Eine externe Evaluation zur Umsetzung der neuen Verfahren 2019/2020 bestätigt die Bilanz der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH). Verbesserungen sind seit dem Systemwechsel zwar erfolgt und gehen in die richtige Richtung – doch der Handlungsbedarf bleibt gross: Es braucht aus Sicht der SFH weitere Massnahmen und Anpassungen, um faire Verfahren und eine hohe Entscheidqualität gewährleisten zu können.

HEKS

Zur Evaluation des beschleunigten Asylverfahrens: Die Qualität des Rechtsschutzes steht für HEKS an erster Stelle

Die vom Staatssekretariat für Migration (SEM) in Auftrag gegebene externe Evaluation des 2019 eingeführten beschleunigten Asylverfahrens stellt der von HEKS in den beiden Bundesasylzentren in der Nordwest- und in der Ostschweiz erbrachten Rechtsvertretung und dem Rechtschutz ein gutes Zeugnis aus. 


Zurück zur Übersicht