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Digitale Welt: Ohne Kompetenzen bleibt der Zugang verwehrt

Mai 2022

Die Digitalisierung hat sich derart mit dem Alltag verwoben, dass es beinahe keinen Lebensbereich mehr gibt, welcher nicht davon betroffen ist. Wer über ausreichende digitale Kompetenzen verfügt, hat es einfacher, von den Vorteilen zu profitieren. Im Gegensatz dazu sind Menschen mit fehlenden oder geringen digitalen Kompetenzen von diesen Vorteilen ausgeschlossen oder können nur eingeschränkt davon profitieren.

Dort wo Angebote, Dienstleistungen oder Informationen sowohl online wie offline verfügbar sind, ist der Zugang für Menschen mit fehlenden digitalen Kompetenzen über den analogen Weg grundsätzlich gewährleistet. Je mehr der Angebote jedoch nur noch digital verfügbar sind – sei es in der Privatwirtschaft oder bei öffentlichen Dienstleistungen -, desto mehr sind Menschen mit fehlenden oder geringen Kompetenzen benachteiligt. Die Suche nach Alternativen ist oft mit einem höheren Aufwand verbunden, etwa indem noch bestehende Offline-Angebote mit zusätzlichen Gebühren belastet sind.

Einschränkungen in vielen Lebensbereichen

Armutsbetroffene sind hier gleich doppelt benachteiligt: Sie haben ein höheres Risiko über geringere digitale Kompetenzen zu verfügen, wodurch sie tendenziell von den «Früchten der Digitalisierung» weniger profitieren können und gleichzeitig belasten zusätzliche Kosten das Haushaltsbudget.

Aus Sicht der Sozialen Arbeit muss das Augenmerk darauf gelegt werden, wo Adressat*innen-Gruppen der Sozialen Arbeit - im Vergleich mit Personen, die über ausreichende oder erweiterte Kompetenzen verfügen -  von Hürden betroffen sind oder an den Vorteilen der Digitalisierung nicht partizipieren können.

Eine vollständige Übersicht über mögliche Nachteile, die aus geringen digitalen Kompetenzen entstehen, kann in diesem Rahmen nicht geleistet werden. Die nachfolgenden Beispiele geben jedoch einen exemplarischen Einblick, welche adressatenspezifische Nachteile durch fehlende digitale Kompetenzen entstehen können.

Eingeschränkte Pflege sozialer Kontakte

Digitale Kanäle (Email, Messenger-Apps, Social Media etc.) bieten verhältnismässig günstige und niederschwellige Möglichkeiten für den Aufbau und die Pflege zeit- und ortsunabhängiger sozialer Kontakte. Eine Einschränkung in diesem Bereich heisst beispielsweise, dass Migrant*innen für den Kontakt zu ihren Angehörigen im Herkunftsland auf andere, meist teurere Varianten der Kontaktpflege ausweichen müssen. Menschen, welche für ihre sozialen oder gesundheitlichen Problemlagen den Austausch oder die Vernetzung mit anderen Betroffenen oder Gleichgesinnten suchen, bleibt der Zugang zu spezifischen Online-Communitys oder Internet-Foren verwehrt, wenn ihnen die dazu erforderlichen digitalen Kompetenzen fehlen.

Man kann die Wertigkeit von digitalen Kontakten im Vergleich zu zwischenmenschlichen Beziehungen, die im realen Raum stattfinden, durchaus kritisch hinterfragen. Jedoch hilft die digitale Kontaktpflege, auch die Begegnungen im realen Raum zu organisieren. Die soziale Isolation einsamer Menschen kann sich deshalb noch verstärken, wenn sie die digitalen Möglichkeiten der Beziehungspflege nicht nutzen können.

Reduzierter Zugang zu Wissen und Informationen

Die Digitalisierung hat Zugang zu einer immensen Menge an Wissen und Informationen geschaffen. Wer sich jedoch diesen Zugang nicht erschliessen kann, ist auch nicht in der Lage, dieses verfügbare Wissen für sich selbst zu nutzen. Auf Informationen, welche für die Lösung oder Bewältigung individueller Problemlagen hilfreich sein können, zugreifen und diese adäquat nutzen zu können, ist auch ein Aspekt von Selbsthilfe und Selbstwirksamkeit. Fehlt beispielsweise die Fähigkeit, die richtigen Informationen zu finden und deren Qualität einzuschätzen, kann diese Wissensressource nur schwer nutzbar gemacht werden oder ist gar mit zusätzlichen Risiken verbunden. Digital verfügbares Wissen kann von Betroffenen jedoch nicht nur als Mittel zur Selbsthilfe genutzt werden. Es ist auch eine Ressource für die politische Bildung und Partizipation, für gemeinsames Engagement, zur Bildung sozialer Bewegungen oder Organisation von zivilgesellschaftlichem Widerstand.

Unsicher im Netz unterwegs

Im europäischen Vergleich liegt die Schweizer Bevölkerung über dem Durchschnitt, was die Nutzung des Internets anbelangt.1 Mit zunehmender Dauer und Häufigkeit der Internetnutzung steigen auch die Sicherheitsrisiken, welchen man ausgesetzt ist.2 Zu den gravierendsten Problemen gehören: Hacking, Datenverlust, Cybermobbing, Online-Kreditkartenbetrug, Identitätsdiebstahl und finanzielle Verluste, welche mit den vorgenannten Problemen in Zusammenhang stehen.

Zwar lassen sich Sicherheitsprobleme nicht ausschliesslich mit fehlenden oder geringen digitalen Kompetenzen in Zusammenhang bringen, denn der Umfang der Internetnutzung hat einen wesentlich grösseren Einfluss.3 Trotzdem ist eine Person mit höherer digitaler Kompetenz auch besser in der Lage, Sicherheitsprobleme zu erkennen sowie Massnahmen für deren Vermeidung zu ergreifen.

Höhere Anforderungen im Arbeitsmarkt

Mit der Digitalisierung gehen auch im Arbeitsmarkt deutlich erkennbare Veränderungen einher. Diese Entwicklungen bringen einerseits Vorteile, etwa in Form von mehr zeit- und ortsunabhängigem Arbeiten oder einer stärkeren Automatisierung von Routineaufgaben. Gleichzeitig bedeutet es auch einen Verlust von Stellen für gering qualifizierte Arbeitskräfte bzw. die Verlagerung zu Stellen mit höheren Qualifikationsanforderungen. Wer mit der Digitalisierung nicht Schritt halten oder sich frühzeitig umorientieren kann, hat auf dem Arbeitsmarkt ein höheres Exklusionsrisiko.

Aus der Perspektive von Personen, die sich um eine berufliche Integration bemühen, bedeutet dies: Je höher die Anforderungen an die digitalen Kompetenzen sind, welche an Mitarbeitende gestellt werden, desto geringer sind die Integrationschancen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Nicht zuletzt sind die digitalen Kompetenzen auch im Hinblick auf die Stellensuche und den Bewerbungsprozess relevant, um auch via Internet offene Stellen zu finden oder sich online adäquat bewerben zu können.

Geschwindigkeit der Entwicklung spielt eine Rolle

Angesichts der Geschwindigkeit der Entwicklungen im Technologiesektor kann man nicht davon ausgehen, dass einmal erworbene Kompetenzen in 3 oder 5 Jahren noch ausreichen. Je sicherer und eigenständiger sich ein Mensch jedoch in der digitalen Welt bewegt, desto leichter ist er in der Lage, sich neue Kompetenzen eigenständig anzueignen. Dieses autonome Lernen ist somit ein Mittel, um dem «Wertverlust» entgegenzuwirken, den die Kompetenzen im Verlauf der Zeit erleiden. Es ist zu erwarten, dass in diesem Zusammenhang die Bedeutung des lebenslangen Lernens künftig noch weiter zunehmen wird.

Quellen und Empfehlungen zum Thema


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