Sehr geehrte Damen und Herren
Als Vertretungsbeiständ*innen mit Finanz- und Vermögensverwaltung arbeiten wir wenn immer möglich aktiv daran, die Klient*innen in ihrer Autonomie zu fördern und evtl. sogar in eine Selbständigkeit zu begleiten. Schrittweise übernehmen diese Klient*innen die Verantwortung fürs Bezahlen einzelner Rechnungen und einzelner administrativer Aufgaben. Wünschenswert wäre natürlich auch, wenn sie sukzessive Aufgaben in Zusammenhang mit Krankenkasse und EL übernehmen (Einreichen von Rechnungen, Übersicht behalten über Leistungsabrechnungen etc.), ehe die Entscheidung gefällt wird, dass eine Erwachsenenschutzmassnahme beendet werden kann.
In dieser Phase besteht ein erhöhtes Risiko, dass Fehler passieren, welche auch zu einem finanziellen Schaden führen können. Es stellt sich die Frage, inwieweit die Beistandsperson für solche Fehler haftet. Welche Vorkehrungen muss eine Beistandsperson treffen, um nicht haftbar gemacht zu werden für Handlungen des Klienten/der Klientin?
Vielen herzlichen Dank im Voraus für eine klärende Antwort.
Freundliche Grüsse
Frage beantwortet am
Karin Anderer
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Grüezi
Inwiefern das Eingehen von höheren Risiken (nicht nur) im finanziellen Bereich, die mit der Förderung und Erhaltung der Selbstbestimmung möglicherweise einhergehen, vertretbar ist, kann nur im Einzelfall beurteilt werden.
Ein Vorgehen ist zu wählen, ohne dass sich die verbeiständete Person zu stark selbst schädigt. Unter Berücksichtigung des Schwächezustandes ist eine Einschätzung zu machen, inwiefern die verbeiständete Person diese Aufgabe selbstbestimmt und eigenverantwortlich erledigen kann. Prognosen sind fehleranfällig, weshalb ein gewisses Risiko in Kauf genommen werden muss. Je nach Beurteilung der vorhanden Ressourcen und Fähigkeiten drängt sich ein Vorgehen in kleineren oder grösseren Schritten auf, d.h. es gilt, das mögliche Risiko auf ein gewisses Mass zu begrenzen. So wäre vielleicht zuerst mit dem selbstständigen Erledigen von kleineren Einzahlungen zu beginnen, oder der Klient erledigt administrative Aufgaben und die Zahlungen werden zusammen im E-Banking erledigt usw. Auch können vermehrt Besprechungen mit der Durchsicht der erledigten Aufgaben abgehalten werden, sodass eine Überforderung rasch erkannt und das Ausmass des Risikos begrenzt werden können. Aufgaben von besonderer Tragweite werden vielleicht etwas länger begleitet. Der Beizug von Bezugspersonen, Nahestehenden oder freiwilligen Hilfsangeboten kann hier sehr hilfreich sein.
Ein Vorgehen von 0 auf 100 dürfte in der Regel haftungsrechtlich problematisch sein. Ein abgestuftes und begleitetes Vorgehen, das auf einer nachvollziehbaren Prognose beruht, hingegen nicht; dann sind Verluste keine Sorgfaltspflichtverletzung sondern die Konsequenz der Vorgabe, die Selbstbestimmung der betroffenen Person zu fördern, wie es Art. 388 Abs. 2 ZGB verlangt (vgl. Daniel Rosch, in: Rosch/Fountoulakis/Heck, Handbuch Kindes- und Erwachseneschutz, Rz. 144 ff. und 150 ff.; Karin Anderer, in: Rosch/Fountoulakis/Heck, Handbuch Kindes- und Erwachseneschutz, Rz. 1541).
Empfehlenswert ist, das vereinbarte Vorgehen im Handlungsplan zu dokumentieren. Individuelle Handlungspläne sind ein probates Mittel, um die Selbstbestimmung zu fördern und steuern (vgl. Diana Wider, Die Beistandschaft als Unterstützung zu mehr Selbstbestimmung , in: Selbstbestimmung 2.0, Hrsg. Daniel Rosch/Luca Maranta, Bern 2017).
Ich hoffe, die Ausführungen helfen Ihnen weiter und ich grüsse Sie freundlich.
Luzern, 25.3.2022
Karin Anderer