Sehr geehrte Damen und Herren,
Ich belgleite einen Herrn aus der Türkei mit einem B-Ausweis (mit Erwerbstätigkeit) aufgrund eines Familiennachzuges. Der Mann befindet sich in der Scheidung.
Er arbeitete vier Jahre lang in der CH in einem türkischen Markt, wurde aus verschiedenen Gründen gekündigt und hat jetzt seit dem 1.12.2020 Aspruch auf Arbeitslosentaggeld. Deutsch kann er quasi keines, weil er nebst der Arbeit (100% Pensum, 10-15h pro Tag) keine Zeit fand einen Deutschkurs zu besuchen. Eine Erstausbildung hat er nie abgeschlossen. Nun habe ich zwei Fragebereiche:
1. Körperliche Einschränkungen
Der Mann hat in der Türkei aufgrund eines schlecht behandelten Unfalles ein Problem mit seinem Bein. Er hinkt offensichtlich und hat grosse Schmerzen bei körperlicher Arbeit. Während der Zeit im Türkischen Markt musste er viele Schmerzmittel nehmen, damit er die Belastung überhaupt aushalten konnte. Anspruch auf IV hat er kaum, weil die Invalidität bereits vor der Einreise in die CH bestand (kein Geburtsgebrechen). Die RAV-Beraterin hat ihn nun angewiesen keine Bewerbungen mehr an deutschsprachige Verkaufsläden zu machen, da er dort keine Chance auf einen Job hätte. Tue er dies trotzdem, erhalte er Straftage. Er müsse sich nun im Bereich Reinigung oder in türkischsprachigen Verkaufsläden bewerben, wo kein Deutsch erforderlich sei. Gemäss dem Patienten könne er im Bereich Reinigung, aufgrund seiner Hüfte, max. 60% arbeiten.
Frage: Kann man mittels eines Arztzeugnisses erreichen, dass sich der Mann nicht mehr für Jobs in körperlich belastenden Tätigkeiten bewerben muss, ohne dass die Taggelder basierend auf einem 100% Pensum eingeschränkt werden dürfen?
2. Dolmetscher selber organisieren
Ist es zulässig, dass die RAV-Beraterin den Klienten zwingen kann sich für die Beratungstermine einen Dolmetscher zu organisieren, ansonsten ihm aufgrund fehlender Vermittelbarkeit Straftage drohen? Der Mann hat in der Schweiz kein türkisches Netzwerk.
Besten Dank für Ihre Rückmeldung.
Freundliche Grüsse.
Ph. Meier
Frage beantwortet am
Kurt Pärli
Expert*in Arbeitsrecht
Sehr geehrter Herr Meier
Gerne beantworte ich Ihre Fragen wie folgt.
- Zumutbarkeit der zu suchenden Stellen
Von arbeitslosen Personen wird einiges abverlangt. Sie müssen vermittlungsfähig sein, d.h., bereit und in der Lage sein, auf dem Arbeitsmarkt eine Stelle zu finden bzw. eine zugewiesene Stelle anzunehmen. Wer angibt, aufgrund seines Gesundheitszustandes nur für bestimmte Tätigkeiten in Frage zu kommen, riskiert, als vermittlungsunfähig und damit zum vorneherein seinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung zu verlieren. Hintergrund dieser Regelung ist, dass die Arbeitslosenversicherung nur die Arbeitslosigkeit versichert, wer aus unfall- oder krankheitsbedingten Gründen nicht arbeiten kann, hat Anspruch auf Leistungen der Unfallversicherung (obligatorisch) oder – falls vorhanden (kein Obligatorium), auf Krankentaggeldleistungen. An dieser Stelle ist der Hinweis wichtig, dass Ihr Klient eine allfällige Krankentaggeldversicherung seines früheren Arbeitgebers unbedingt weiterführen soll (Übertritt aus der Kollektiv- in die Einzelversicherung).
Liegt die Vermittlungsfähigkeit vor, so müssen Arbeitslose als Ausfluss der Schadenminderungspflicht bereit sein, jede zumutbare Arbeit anzunehmen. Diese Pflicht umfasst auch die Bereitschaft, ausserhalb der erlernten oder bisherigen Berufs Ausschau nach in Frage kommenden Stellen zu halten. Als Nachweis der Stellensuche-Bemühungen werden überdies auch nur Bemühungen akzeptiert, die sich auf Stellen mit reellen Bewerbungschancen beschränken. Insoweit sind die Aufforderungen der RAV-Beraterin, keine Stellen in Betrieben zu suchen, die deutschsprechende Personen suchen, richtig.
Dass die für Ihren Klienten in Frage kommenden Stellen (Reinigung o.ä.) gesundheitlich grosse Herausforderungen stellen, ist nicht zu verleugnen, wenn indes dieser Aspekt zu stark betont wird, besteht wie oben erwähnt das Risiko, dass die Vermittlungsfähigkeit abgesprochen wird.
Ihrem Klienten würde ich aber raten, bei der RAV-Beraterin seine Bereitschaft, die deutsche Sprache zu lernen kundzutun (jetzt hat er ja Zeit). Im Rahmen der arbeitsmarktlichen Massnahmen sollte ein Kursbesuch eigentlich möglich sein.
- Anspruch auf Dolmetscher
Einen ausdrückliches Recht auf Dolmetscher gibt es nicht. In einzelnen Kantonen gibt es indes Pilotversuche mit interkulturellen Dolmetschern, weitere Informationen können Sie hier finden: https://www.inter-pret.ch/admin/data/files/infolibasset/file/66/iizikdteilbrav_d.pdf?lm=1498557228
Genügen Ihnen diese Auskünfte?
Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen
Kurt Pärli
Sehr geehrter Herr Pärli,
Wie wäre aus ihrer Sicht praktisch vorzugehen, wenn der Aspekt der körperlichen Einschränkung gegenüber dem RAV durchgesetzt werden soll, so dass sich der Mann auf körperlich belastende Tätigkeiten nur max. 60% bewerben muss? Für alle anderen Bereiche wäre er ja weiterhin zu 100% vermittelbar....? Er müsste sich halt auf Stellen bewerben, die es wohl kaum für ihn auf dem Arbeitsmarkt gibt..... Bräuchte es da ein detailliertes AUF-Zeugnis des Hausarztes? Was wäre sonst zu beachten?
Frage beantwortet am
Kurt Pärli
Expert*in Arbeitsrecht
Sehr geehrter Herr Meier
Man müsste wohl so argumentieren: Ihr Klient hat die Pflicht, alles zu tun, um nicht oder nur noch teilweise arbeitslos zu sein (Schadenminderungspflicht). Dieser Pflicht kann er am Besten so nachkommen, in dem er sich einerseits uaf körperlich nicht belastbare 100%-STellen und andererseits auch auf seiner Konsitutition angepasste 60% Stellen bewirbt. Die allfällige - zumindest vorübergehende - Annahme einer 60%-Stelle könnte als Zwischenverdienst berücksichtigt werden.
Das AUF_Zeugnis des Hausarzt müsste entsprechend differenziert formuliert sein (60% AF für körperlich belastende Tätigkeit und 100% AF für nicht speziell belastbare Tätigkewit).
Genügen Ihnen diese Angaben?
Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen
Kurt Pärli