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Erfolgreiche Initiative im Engagement gegen Mobbing

Juli 2023

Am Pilotprojekt «#standup - Initiative gegen Mobbing» haben 34 Schulen aus acht Kantonen der Deutschschweiz teilgenommen. Das Projekt verfolgt den Ansatz, Schulen mittels einer Kombination aus Prävention, einem digitalen Meldekanal und klaren Zuständigkeiten in ihrem Engagement gegen Mobbing zu unterstützen.

Der Prävention von Mobbing kommt national und auch international grosse Bedeutung zu. Mobbing schadet! Und Mobbing ist ein ernstzunehmender Treiber für psychische Erkrankungen bis hin zu Suizid. Gemäss verschiedenen Statistiken sind 15 -17 Prozent aller Schülerinnen und Schüler im Verlauf ihrer obligatorischen Schulzeit von Mobbing betroffen.

Die Sozialisationsinstanz Schule ist deshalb für Mobbing-Prävention eine Schlüsselstelle. Die Pro Juventute hat in Kooperation mit der Schweizerischen Gesundheitsstiftung RADIX, dem Schulsozialarbeitsverband (SSAV) und dem Verband Schulleiterinnen und Schulleiter Schweiz (VSLCH) das Projekt «#stand up - Initiative gegen Mobbing» ins Leben gerufen, das dort ansetzt.

Das Besondere an diesem Ansatz ist die Fokussierung auf die «schweigende Mehrheit» der Zuschauenden. Es wird weniger versucht, Mobbing als moralisch verwerflich zu deklarieren und Kinder und Jugendliche in das Opfer-Täter-Narrativ zu drängen. Was auffällt im Projekt ist der Ansatz «Turning bystanders into actors». Das blosse Aufdecken von Mobbing führte in der Vergangenheit jedoch für Schüler*innen nur selten zu einer Verbesserung der Situation. Oft wurden Betroffene erst recht gemobbt - und jene, die das Schweigen gebrochen haben zum nächsten Zielobjekt.

Die «Initiative gegen Mobbing» setzt deshalb auf einen sicheren Meldekanal. Schüler*innen melden auf einer digitalen Plattform – anonym – dass es «jemandem an meiner Schule» schlecht geht. Sie wählen online in der Plattform ihre Schule aus und hinterlegen den Namen der / des Betroffenen (kann auch ihr / sein eigener sein). Die Meldung geht dann in der Regel an die zuständige Schulsozialarbeiter*in. Diese Person bearbeitet den Fall nach einem klar definierten Prozess und involviert gegebenenfalls betroffene Schüler*innen und deren Lehrpersonen. Dieser Prozess ist transparent. Alle Schüler*innen, Lehrer*innen und Eltern sollten ihn kennen.

Im Interview gibt Lulzana Musliu, Medienverantwortliche bei Pro Juventute, Einblick in die Hintergründe der «Initiative gegen Mobbing».


Interview mit Lulzana Musliu, Medienverantwortliche bei Pro Juventute

Martin Heiniger, sozialinfo.ch: Was ist das Spezielle am Projekt «#standup - Initiative gegen Mobbing», das Pro Juventute mitentwickelt hat?

Lulzana Musliu, Pro Juventute: Es gibt verschiedene Arten, wie Schulen Mobbing thematisieren und aktiv angehen. Der grosse Mehrwert unseres Ansatzes ist, dass Mobbing an den Wurzeln gepackt und von Anfang bis Ende begleitet wird. Die Stiftung Gesundheitsförderung «Radix», die Teil der Kooperation ist, hat Lehrmittel zum Thema Prävention entwickelt. Diese helfen den Lehrpersonen mit vorgefertigtem Unterrichtsmaterial, Mobbing zu thematisieren und etwa den Unterschied zwischen Mobbing und einem Konflikt bewusst zu machen. Mittels Rollenspielen kann erlebbar gemacht werden, wie man sich fühlt, wenn man ausgeschlossen wird. Es gibt auch eine Mobbingcharta, die hilft, eine Umgangskultur zu entwickeln, die Vielfalt ermöglicht und niemanden ausschliesst.

Prävention allein reicht aber nicht?

Richtig! Prävention ist wichtig, und es ist gut, dass viele Schulen dies machen. Trotz Prävention wird es wohl unvermeidlich sein, dass es zu Mobbing kommt. Und dann ist es wichtig, dass eine Schule kompetent agieren kann. Da Mobbing ein sehr emotionales Thema ist und eine Eigendynamik entwickelt, kann dies Lehrpersonen, Schulleitungen und auch Schulsozialarbeiter*innen fordern. Nebst der wichtigen Prävention braucht es auch Instrumente und Prozesse für den Ereignisfall.

Was ist der Ansatz von #standup, um dem zu begegnen?

Wir haben auf dem bei Kindern und Jugendlichen bekannten «147» von Pro Juventute eine spezielle Meldeplattform geschaffen, wo Schüler*innen der teilnehmenden Schulen Mobbingfälle vertraulich melden können. Die Plattform steht 24/7 zur Verfügung, so können Schüler*innen sich auch abends oder am Wochenende melden. Die Zusicherung der Vertraulichkeit ist wichtig, weil Unbeteiligte sich nicht gerne exponieren, aus Angst, selbst Mobbing zu erleben. Mit der Meldung auf der Plattform ist es aber natürlich nicht getan. Die Fachpersonen in den Schulen müssen dann auch handeln können, und zwar richtig handeln. Bei Mobbing kann man auch falsch handeln und das Problem verschlimmern. Deshalb haben wir den Schulsozialarbeitsverband (SSAV) einbezogen, denn in der Deutschschweiz sind Schulsozialarbeiter*innen für dieses Thema verantwortlich. Sie sind Schlüsselpersonen, die im Kontakt mit den Klassen und Lehrpersonen im Kontakt stehen und intervenieren können, um Mobbing zu begegnen. Sie erhalten in der Regel auch die Meldungen der Plattform.

Wie unterstützt Ihr die Lehrpersonen und Schulsozialarbeitenden darin, richtig zu handeln?

Wir bieten Train-the-Trainer Module für Lehrpersonen und Schulsozialarbeiter*innen, damit sie einerseits befähigt werden, zum Thema Mobbing im Schulalltag zu unterrichten, andererseits aber auch lernen, wie sie mit einem konkreten Mobbing-Fall umgehen können. In diesem Rahmen erarbeiten wir mit ihnen einen Handlungsleitfaden, der detailliert regelt, was getan werden soll, wer zuständig ist, wer wann einbezogen werden soll und so weiter.

Gibt es weitere Stellen oder Personen, die wichtig sind?

Da Mobbing aus unserer Sicht «Chefin- rsp. Chefsache» ist, geht es nicht ohne die Schulleiter*innen, die sich für eine Nulltoleranz in ihrer Schule einsetzen. Deshalb ist es wichtig, dass auch der Verband der Schulleiterinnen und Schulleiter Schweiz (VSLCH) an Bord gekommen ist. Diese Kooperation ist der grosse Mehrwert an dieser «Initiative gegen Mobbing».

Mit dem Pilotprojekt habt Ihr vor gut zwei Jahren begonnen. Wie ist es gestartet?

Wir hatten trotz Corona einen hohen Rücklauf von Schulen, sich am Pilot zu beteiligen. Der Pilot umfasste 34 Gesamtschulen. Das sind ca. 80 Schulhäuser mit über 10'000 Kindern. Der Bedarf ist also offenbar vorhanden.

Wie gross ist der Aufwand für eine Schule, die dieses Projekt einführen will?

Als Schule bedeutet es eine Verpflichtung. Man muss Lehrpersonen ausbilden, muss es in den Klassen einführen, muss einen Handlungsleitfaden erarbeiten und die Eltern informieren. Das Projekt bedeutet zunächst einen zusätzlichen Aufwand, aber langfristig gesehen, stärkt es die Schule und es ist eine Investition in die Zukunft.

Wie sind die bisherigen Erfahrungen mit dem Pilotprojekt? 

Wir haben Schulleitungen, Lehrpersonen und Schüler*innen zu drei Zeitpunkten befragt, hatten Austauschtreffen und auch Fokusinterviews geführt. Bei der Meldeplattform beispielsweise stellt sich die Frage, was «erfolgreich» bedeutet. Angenommen, es gibt keine Meldungen; heisst das, dass durch die Präventionsmodule von Radix ein achtsamerer Umgang etabliert werden konnte und dass man Mobbing von Anfang an im Keim ersticken konnte, oder dass die Meldeplattform nicht erfolgreich ist? Oder angenommen, man hat viele Meldungen; heisst das, dass das Projekt nicht greift, oder dass jetzt mehr als Tageslicht kommt? Das ist nicht unbedingt eindeutig, deshalb schauen wir es sehr genau an.

Die Schüler*innen einer Schule wechseln ja immer wieder. Braucht es einen Mechanismus, um das Engagement gegen Mobbing in der Kultur zu verankern?

Ja, das ist zentral. Nebst den Schüler*innen wechseln auch die Lehrpersonen, die Schulsozialarbeiter*innen und die Schulleitungen. Eine Schule muss das deshalb in die Mehrjahresplanung aufnehmen. Das ist auch deshalb wichtig, weil das Thema je nach Altersstufe verschieden bearbeitet und auch während des Schuljahrs immer wieder als Thema aufgegriffen werden muss. Mobbing gibt es ja schon im Kindergarten, aber natürlich auf eine andere Art als in der Oberstufe, deshalb muss man das anders in den Schulalltag integrieren.

#standup – Initiative gegen Mobbing

Detaillierte Informationen zu den Kursen sowie Anmeldemöglichkeiten finden sich unter: #standup – Initiative gegen Mobbing | RADIX Schweizerische Gesundheitsstiftung

Wie ist der Stand des Projektes jetzt?

Das Pilotprojekt wurde Anfang 2023 abgeschlossen. Die Meldeplattform kann von den Pilotschulen noch bis Ende 2023 benutzt werden, danach entfällt eine jährliche Lizenzgebühr. Neue Kurse für Schulen starten Ende September 2023 und sind für diese kostenpflichtig. Weitere Kurse sind für November 2023 und September 2024 geplant. Das Projekt wird weiterhin von Pro Juventute und Radix in Kooperation durchgeführt.


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